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Amazonien - ein Foto- und Lesebuch - Susanne Gerber-Barata

Foto- und Lesebuch über den brasilianischen Amazonas

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Blätter des Maniokstrauches zu riesigen<br />

dunkelgrünen Bergen aufgehäuft sehen. Die<br />

werden, da gleich vor Ort, durch den Wolf<br />

gedreht <strong>und</strong> als „Maniva crua“ portionsweise<br />

verkauft. Wer es weniger folkloristisch mag, kauft<br />

sie schon vorgekocht im Supermarkt. Mitten<br />

zwischen den Gestellen brodeln in riesigen<br />

Hexenkessel braun-schwarze Breie vor sich hin,<br />

deren Aussehen erschreckend an flüssige<br />

Kuhfladen erinnert, wäre da nicht der köstliche<br />

blättrige Geruch der „Maniba“, mitten<br />

im Kochprozess. „Maniba“, das weiß hier jedes<br />

Kind, muss sieben Tage, <strong>ein</strong>e ganze lange Woche<br />

lang (!) vor sich hin kochen, damit ihre tödlichgiftige<br />

Blausäure chemisch umgewandelt wird<br />

<strong>und</strong> verdampft. An den letzten Tage des<br />

Kochprozesses werden dem grünen Brei dann die<br />

selben Fleisch- <strong>und</strong> Wurstsorten der Feijoada, wer<br />

mag, findet auch Verwendung für Kutteln,<br />

Sauohren <strong>und</strong> –schwänzen, beigegeben.<br />

Zusammen mit Reis, scharfer Pfeffersauce <strong>und</strong><br />

natürlich Farinha ist <strong>ein</strong>es der lokalen<br />

Nationalgerichte, die „Maniçoba“ fertig.<br />

Wird in Südbrasilien nur die süße Maniok<br />

verwendet, so ist hier im Norden vor allem die<br />

giftige Art beliebt. Sie wird nie unprozessiert<br />

gegessen, denn die Blausäure muss zerstört<br />

werden. Dazu werden die Knollen tagelang<br />

gewässert, am besten in <strong>ein</strong>em fließenden<br />

Gewässer. Dann werden sie geschält <strong>und</strong><br />

gerieben. Die geriebene Masse wird in <strong>ein</strong> langes,<br />

flexibles, schon von den Indigenen entwickeltes<br />

„Rohr“, das „Tipití“ gefüllt. Der langgezogene<br />

Behälter ist so raffiniert ingeniös geflochten, dass<br />

er, am <strong>ein</strong>en Ende festgemacht <strong>und</strong> am anderen<br />

verdreht, sich lang <strong>und</strong> länger auszieht <strong>und</strong> dabei<br />

den gelblichen Saft, der leckere, säuerliche<br />

„Tucupí“ auspresst. Dieser Saft wird stehen<br />

gelassen, wobei sich die „Goma“, <strong>ein</strong> hauchf<strong>ein</strong>es<br />

Pulver, auf dem Gr<strong>und</strong> absetzt. Der Tucupi wird<br />

dann sorgfältig abgegossen, aufgekocht <strong>und</strong> in<br />

recycelten Petflaschen, nie passt die Farbe des<br />

Deckels zum kl<strong>ein</strong>en Rest des Plastikverschlusses,<br />

der auf der Flasche zurückbleibt, oder im<br />

Offenverkauf verkauft. Guter Tucupí ist von<br />

dicklich grün-gelber Farbe <strong>und</strong> sollte möglichst<br />

nicht in den hier leider überall gebräuchlichen<br />

Alupfannen gekocht werden, denn dann wird er<br />

grau. Man kann auch kl<strong>ein</strong>ere Flaschen mit<br />

Pfefferfrüchtchen kaufen, die sich in Tucupí<br />

perfekt konservieren.<br />

Der blendend weiße Bodensatz, die pulverf<strong>ein</strong>e<br />

„Goma“ wird entweder feucht für die<br />

pfannkuchenähnlichen Tapiokafladen verwendet<br />

oder getrocknet. Für Tapiokafladen wird das<br />

angefeuchtete Mehl <strong>ein</strong>fach in die heiße Pfanne<br />

gesiebt, gesalzen, <strong>und</strong> ballt sich w<strong>und</strong>ersam in<br />

<strong>ein</strong>er Minute durch die Einwirkung der Hitze zu<br />

<strong>ein</strong>em delikaten, mehr oder weniger dicken<br />

Pfannkuchen zusammen. Etwas Butter oder<br />

Kokosmilch dazu oder raffiniert gefüllt, das<br />

glutenfree-Frühstück ist fertig. Ein anderer Prozess<br />

rollt das f<strong>ein</strong>e Mehl so lange, bis es sich in<br />

styroporähnlichen Kugeln, Tapiokaflocken, weiß<br />

<strong>und</strong> knusprig, die an schlankes Popkorn erinnern<br />

zusammenballt. Auch Sago gehört in diese Familie.<br />

Tapiocaflocken gehören unbedingt in den Açaí <strong>und</strong><br />

sind auch für Brei <strong>und</strong> Süßspeisen unabdingbar.<br />

Was im Tipiti als ausgepresster Rest zurückbleibt,<br />

wird zu Farinha. Kommt zum Trocknen <strong>und</strong><br />

Toasten auf tischhohe Bleche hüfthoher Öfen, wo<br />

es unter ständigem Wenden <strong>und</strong> Aufwerfen so<br />

lange erhitzt wird, bis es knusprig <strong>und</strong> knackig ist<br />

<strong>und</strong> sich wochenlang hält, jene köstliche Farinha,<br />

knusprige Farinha d´água, oder auch zu riesigen<br />

Pfannkuchen, Beijou genannt, getrocknet. Aus<br />

diesen Beijous wiederum wird zu Festtagen <strong>ein</strong><br />

Getränk vergärt, hochkomplex in der Herstellung,<br />

das die unterschiedlichsten Zusammensetzungen<br />

<strong>und</strong> Namen hat: „Tarubá“ oder „Maniquera”,<br />

“Pajuaru” oder “Caxiri”. Die ganz groben Reste, die<br />

übrig bleiben, werden auch geröstet <strong>und</strong> dann im<br />

Mörser zu hauchf<strong>ein</strong>em Pulver, „Cruera“ genannt,<br />

zerstoßen.<br />

Übrigens – <strong>ein</strong> letzter Tipp: Haben Sie sich aber in<br />

der Schärfe des hier allgegenwärtigen Pfeffers getäuscht?<br />

Es gibt k<strong>ein</strong> besseres Gegenmittel, als<br />

<strong>ein</strong>e Handvoll Farinha. Schon ist das Brennen<br />

gebannt.<br />

<strong>Amazonien</strong>, <strong>ein</strong> <strong>Foto</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lesebuch</strong> - <strong>Susanne</strong> <strong>Gerber</strong>-<strong>Barata</strong> 718

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