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Amazonien - ein Foto- und Lesebuch - Susanne Gerber-Barata

Foto- und Lesebuch über den brasilianischen Amazonas

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Husten <strong>und</strong> Schnupfen ab, dessen ständigen<br />

Katarr er immer wieder hochzog oder auf der<br />

Straße eklig <strong>und</strong> unter starken Geräuschen<br />

ausspuckte, mit der Schwester, <strong>ein</strong> ebenso starker<br />

<strong>und</strong> dominierenden Charakter, um dessen<br />

un<strong>ein</strong>geschränkte Aufmerksamkeit. Schimpfte vor<br />

sich hin, beklagte sich, wärmte immer wieder aufs<br />

Neue kl<strong>ein</strong>e Alltagsprobleme auf. Die dritte<br />

Schwester, so unwichtig, ausgedörrt <strong>und</strong><br />

weichherzig wie <strong>ein</strong> Vögelchen, piepste nur hie<br />

<strong>und</strong> da <strong>ein</strong> Wörtchen. Sie litt an den Spätfolgen<br />

<strong>ein</strong>er schlecht verheilten Tuberkulose, an der<br />

auch andere Geschwister, über die man nie<br />

sprach, in jungen Jahren gestorben waren.<br />

Die Likörflaschen, an die sich nur s<strong>ein</strong> Neffe<br />

erinnerte, f<strong>ein</strong>ster „Marie Brizard“, waren längst<br />

vom Beistelltischchen verschw<strong>und</strong>en. Dem Onkel,<br />

<strong>ein</strong>em vorbildlichen Beamten der staatlichen<br />

Steuerbehörde, als Anerkennung oder fre<strong>und</strong>liche<br />

Bestechungsversuche geschenkt, staubten sie vor<br />

sich hin. Noch heute könne er den exquisiten<br />

Geschmack der Liköre auf der Zunge spüren.<br />

Besonders das Viererpack hatte es ihm angetan.<br />

Es war <strong>ein</strong>e <strong>ein</strong>zige Flasche, die gleich vier<br />

verschiedene Liköre in vier ganz unterschiedlichen<br />

Farben in ihrem Glasbauch hütete. Cassis oder<br />

Groselha, Amaretto, Cacau <strong>und</strong> vielleicht Sirope<br />

de Menthe? So genau konnte er sich nicht mehr<br />

erinnern. Nur daran, wie er sich, alle drei hatten<br />

sich in die Hängematten zur mittäglichen Siesta<br />

zurück gezogen, <strong>ein</strong> Glas Likör <strong>ein</strong>goss <strong>und</strong> es<br />

zusammen mit <strong>ein</strong>em auch geschenkten Whiskey<br />

genüsslich schlürfte.<br />

Der Whiskey selber wurde zum Familiengag,<br />

immer wieder gern erzählt. Eines Tages drang <strong>ein</strong><br />

Dieb ins stille Haus <strong>ein</strong>. Unter den Schrecken der<br />

Bewohner mischte sich die Empörung des Onkels.<br />

Wie konnte es dem Dieb <strong>ein</strong>fallen, s<strong>ein</strong>en ganzen<br />

geschmuggelten <strong>und</strong> als Bestechungsversuch<br />

geschenkten Whiskey zu klauen, aber k<strong>ein</strong>es der<br />

ach so wertvollen Bücher aus der Bibliothek!<br />

Damit könne man doch so viel mehr anfangen!<br />

Intellektueller der Familie, war ihm die ganz von<br />

innen heraus kommende Faszination für Sprachen<br />

bis ins hohe Alter geblieben, im Speziellen für<br />

Esperanto, dessen Universum s<strong>ein</strong>e große<br />

Leidenschaft gehörte. Stolz verwies er darauf, in<br />

Brasilien <strong>ein</strong>er der Pioniere dieser Kunstsprache<br />

gewesen zu s<strong>ein</strong>! Entfaltete mit trockener Hand,<br />

die Nägel schlecht geschnittenen, <strong>ein</strong> angegilbtes<br />

Folletim: Hier waren alle s<strong>ein</strong>e Fre<strong>und</strong>e vom Club<br />

des Esperantos! Intellektuelle, auf der ganzen Welt<br />

verstreut, <strong>ein</strong> Pole, <strong>ein</strong> Peruaner, <strong>ein</strong>e Russin, die<br />

ihn aber, wie er immer <strong>und</strong> immer wieder<br />

betonte, alle mit offenen Armen empfangen<br />

würden, gleich morgen schon, falls es ihm<br />

<strong>ein</strong>fallen würde, sie zu besuchen. Zwar seien sie<br />

geografisch weit entfernt, sich aber im Geiste sehr<br />

nah, <strong>ein</strong>e verschworene Gesellschaft, ver<strong>ein</strong>t<br />

durch <strong>ein</strong>e <strong>ein</strong>zige universelle Sprache.<br />

Zudem sammelte er Wörterbücher, die er<br />

ausgiebig mit dem Ziel studierte, herauszufinden,<br />

was die Struktur der <strong>ein</strong>zelnen Sprachen<br />

mit<strong>ein</strong>ander verbinde. Ordentlich in Zettelkästen<br />

katalogisiert, legte er sich viele Karteikarten an,<br />

auf denen er die Logik der <strong>ein</strong>zelnen Sprachen<br />

mit<strong>ein</strong>ander verglich, im voll gestellten<br />

Studierzimmer im Erdgeschoß, der geliebten<br />

Bibliothek vorbehalten.<br />

Der Dicionère de Français stand gleich neben<br />

<strong>ein</strong>em deutschen Wörterbuch, <strong>ein</strong>em<br />

Lat<strong>ein</strong>ischen, <strong>ein</strong> Aurélio für Portugiesisch,<br />

Enzyklopädien, Regale <strong>und</strong> noch mehr Regale.<br />

Unzählige papierene Buchzeichen <strong>und</strong><br />

Merkzettel mahnten an frühere Entdeckungen<br />

<strong>und</strong> produktivere St<strong>und</strong>en. Dazu viel Literatur,<br />

auch <strong>ein</strong> Goethe, Notizen <strong>und</strong> immer wieder<br />

s<strong>ein</strong>e eigenen Recherchen, die zu veröffentlichen<br />

er k<strong>ein</strong>erlei Anstrengungen oder Mühen<br />

unternommen hatte. Alles hier versammelt,<br />

aufgetürmt, aufgestapelt, gelesen <strong>und</strong> wieder<br />

gelesen, voller Flecken, gealtert, von der Zeit<br />

vergilbt, irgendwie <strong>ein</strong>e Art riesiges, schlecht<br />

organisiertes Buchantiquariat. Ein <strong>ein</strong>samer<br />

Privatgelehrter, wovon auch die schwarze Brille,<br />

die er fast nie mehr aufsetzte, zeugte. Wenn es<br />

ihm endlich gelungen war, die Aufmerksamkeit<br />

des Besuchers auf sich zu lenken, trat sie in<br />

Aktion. Den mageren Rücken steil im Stuhl<br />

<strong>Amazonien</strong>, <strong>ein</strong> <strong>Foto</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lesebuch</strong> - <strong>Susanne</strong> <strong>Gerber</strong>-<strong>Barata</strong> 409

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