Amazonien - ein Foto- und Lesebuch - Susanne Gerber-Barata

Norden ist die urbanisierte, betonierte,
plastifizierte Welt der Städte ohne fliegende,
kriechende, wuselnde Ekel die Erfüllung des
Konsumtraums. Symbolisiert Fortschritt,
Wohlergehen und Gesundheit.
Am interessantesten aber ist, wie überaus relativ
und selektiv Ekel sein kann. So wird im Haus drin
und gleich darum herum, exakt bis zum
Gitterzaun, nicht das kleinste Schmützchen
geduldet. Aller ist immer unfehlbar sauber, von
den gefliesten Böden könnte man essen. Eine
winzige Maus sorgt tagelang für Gesprächsstoff.
Überschreitet man dann allerdings die Schwelle,
schließt man die Haustür oder besser das Gitter
hinter sich, türmen sich gleich da, vor dem Haus,
seit einer Woche schon, auf dem Bürgersteig die
Abfallsäcke, ironischerweise in demselben Haus
erzeugt. Die Müllmänner streiken mal wieder?
Nein, sie arbeiten, aber sie nehmen nur jenen
„Müll“ mit, der irgendwie in irgendwelche Tüten,
normalerweise Supermarkttüten, abgefüllt ist.
Wie gut, dass wenigstens die allgegenwärtigen,
aber ja so ekligen Aasgeier ihre Arbeit nie
einstellen. Nur sollten sie sich besser mit den
Müllmännern absprechen…
Und der Hügel Bauschutt da drüben? Bietet
mehreren Generationen der selben Rattenfamilie
einen geradezu idealen Unterschlupf. Scheint
schon seit Monaten seinem unbestimmten
Schicksal zu harren!
Die Erklärung ist einfach. Wundersamerweise
verwandelt sich Müll beim Überschreiten der
Schwelle sozusagen in Gemeingut. Einmal
hinausgestellt ist er nicht mehr „mein“ Müll,
„mein“ Problem. Jenseits des Gitters ist die Stadt,
der Bürgermeister, der Gouverneur, was weiß ich
wer, zuständig!
Das gilt auch für die wortwörtlich zum Himmel
stinkenden, ölig-pech-kloakigen Abwasserkanäle.
Klar, auch sie sind schlecht riechendes Gemeingut.
Befinden sich, kurz vor dem Überlaufen, schwarz,
stehend und vor sich hin faulend, zwei Straßen
unterhalb der besten Wohngegend. Gewöhnungsbedürftig,
überaus gewöhnungsbedürftig. Wie die
unbebauten Grundstücke, die als Abfallhalden von
gut genährten Aasgeiern frequentiert werden. Die
selben, die sich kurz zuvor der offen zurückgelassenen
Reste des Quartiermarktes
angenommen haben. Scheinbar werden sie nie
satt. – Schon daran gedacht, was passierte, wenn
sie es nicht machen würden?
Ja, Ekel ist wirklich kulturell.
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