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Amazonien - ein Foto- und Lesebuch - Susanne Gerber-Barata

Foto- und Lesebuch über den brasilianischen Amazonas

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Der Wasserturm<br />

Es dreht sich alles um den Wasserturm. Er bringt,<br />

<strong>und</strong> das im Jahre 2017, etwas Fortschritt, sprich<br />

fließend <strong>und</strong> kaltes Wasser in <strong>ein</strong>en, sagen wir<br />

etwas abgelegerenen Teil des Amazonas. Genau<br />

genommen gar nicht so weit weg, <strong>ein</strong>e Bootsst<strong>und</strong>e<br />

nur den Tapajós überquert. Wenn man<br />

Glück hat, ohne Sturm <strong>und</strong> viel Geschaukel.<br />

Plupps, schon ist man in <strong>ein</strong>er anderen Welt.<br />

Befindet sich sozusagen im Hinterhof des<br />

Hinterlandes.<br />

Ein Dorf, w<strong>und</strong>erbar säuberlich gepüschelt, k<strong>ein</strong><br />

Abfall, propere Häuschen. Ein Dorfteil oder wohl<br />

besser Teil des Weilers, heißt "Paciência" -<br />

"Geduld". Die Tafel, die den Namen verkündet, ist<br />

sozusagen mit viel Geduld in den Baum hin<strong>ein</strong>gewachsen.<br />

Und dann, da oben, strategisch auf<br />

dem zweiten der kl<strong>ein</strong>en Hügel hier, steht er, der<br />

brand-nigelnagelneue Wasserturm. Auf dem<br />

ersten Hügel thront die Kirche. Der Wasserturm<br />

auf hochb<strong>ein</strong>igen Stelzen, eigentlich <strong>ein</strong><br />

Infrastrukturprojekt, das dem Staat, dem Land<br />

oder der Gem<strong>ein</strong>de zukäme, errichtet von <strong>ein</strong>er<br />

lokalen Hilfsorganisation mit der Hilfe<br />

internationaler Gelder. Wie gut, denn die Armut<br />

<strong>und</strong> Misswirtschaft dominieren.<br />

Zur Einweihung sind alle da. Sicher haben sie den<br />

Tag zum Feiertag <strong>und</strong> schulfrei erklärt. Ich<br />

mittendrin, als absolut Unbeteiligte, "Papageio de<br />

Pirata", wie der Papagei des Piraten, der ihm auf<br />

der Schulter sitzt <strong>und</strong> von dieser privilegierten<br />

Position aus immer s<strong>ein</strong>en Senf dazu gibt. Ein<br />

Szenarium wie von Gabriel Garcia Marques. Am<br />

Tisch unter freiem Himmel sind die Autoritäten<br />

versammelt. Eine aus Rio von der Konrad<br />

Adenauer-Stiftung, die NGO, die das alles möglich<br />

gemacht hat. Daneben der Cacique, der Häuptling.<br />

Greift soeben, in Tennis, Bermudas, T-Shirt <strong>und</strong><br />

Federkopfschmuck, Pfeil <strong>und</strong> Bogen umgehängt,<br />

zum Mikrofon <strong>und</strong> hält die Eröffnungsrede. Die<br />

erste, gefolgt von vielen anderen Dankesreden.<br />

Dann ist es an der Gem<strong>ein</strong>de. Die indigenen<br />

Lehrerin bildet Kreise. Den innersten mit den<br />

kl<strong>ein</strong>en Kindern. Darum herum die älteren <strong>und</strong> im<br />

letzten Kreis dann Hand in Hand all die anderen<br />

Beteiligten. Eine respektable Frau der Gem<strong>ein</strong>de<br />

schreitet die Kreise ab. In der Hand <strong>ein</strong><br />

improvisiertes Räuchergefäß. Es riecht wie in der<br />

Messe, nur dass sich der Rauch bis in den blauen<br />

Himmel kräuselt. Und auch die Götter sind andere.<br />

Die Lehrerin beschwört Tupão, den Göttervater,<br />

der es gerne donnern lässt, <strong>und</strong> <strong>ein</strong> paar andere.<br />

Ein indigenes Ritual, <strong>ein</strong>es von jenen, die weder<br />

echt noch überliefert, aber wenigstens gut<br />

nacherf<strong>und</strong>en wurden. Auf Geheiß der Lehrerin<br />

beginnen sich die Kreise zu drehen <strong>und</strong> zu<br />

wenden. Auch die letzten Nicht-Integrierten<br />

reichen sich die Hände.<br />

Die Personen hier flößen mir Respekt <strong>ein</strong>, nicht<br />

nur die Lehrerin, k<strong>ein</strong>e "Titia", k<strong>ein</strong> Tantchen, wie<br />

in der Stadt. Man kann sehen, dass sie ihrer<br />

Arbeit mit Herzblut nachgeht. Dann kommt der<br />

unterhaltende Teil. Eine Parodie. Eine stark<br />

blondierte Indigena liest ihre selbst verfasste<br />

Satire. Liest sie vom Blatt. Zu mehr habe die Zeit<br />

nicht gereicht. An Gründen für die Satire fehlt es<br />

ihr nicht. Würde man nicht lachen, müsste man<br />

sich wohl umbringen.<br />

Die Satire erzählt vom «Doppelt genäht, hält<br />

besser». Der Stelzb<strong>ein</strong>ige hier ist nämlich schon<br />

der zweite Wasserturm, den sie nicht von der<br />

Regierung, aber aus privaten Spenden errichtet<br />

bekommen. Unvorstellbar, aber bis 2016 haben<br />

sie hier, direkt am Ufer des Flusses, ohne<br />

fließend <strong>und</strong> kaltes Wasser in den Häusern<br />

gewohnt. Tragischerweise brach der erste<br />

Wasserturm, was für <strong>ein</strong> Schicksal, aber nach nur<br />

zwei Wochen in sich zusammen. Die <strong>ein</strong>en geben<br />

<strong>ein</strong>em Blitzschlag Schuld. Tupãn wird doch wohl<br />

kaum s<strong>ein</strong>e Hand im Spiel gehabt haben! Aber es<br />

kam noch schlimmer. Senhor Joaquim, der<br />

<strong>ein</strong>zige Weiße <strong>und</strong> sichtbar Besserbemittelte<br />

hier, wohl <strong>ein</strong> Staatsangestellter in Pension, soll<br />

der Wasserturm fast mit ins Verderben gerissen<br />

haben! Glücklicherweise kam er mit <strong>ein</strong> paar<br />

Kratzern davon. Sitzt nun in Begleitung s<strong>ein</strong>er<br />

Gattin in der ersten Reihe.<br />

Nun aber sind alle glücklich. Das Fest geht noch<br />

weiter. Bald schon schneiden sie die<br />

<strong>Amazonien</strong>, <strong>ein</strong> <strong>Foto</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lesebuch</strong> - <strong>Susanne</strong> <strong>Gerber</strong>-<strong>Barata</strong> 908

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