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Amazonien - ein Foto- und Lesebuch - Susanne Gerber-Barata

Foto- und Lesebuch über den brasilianischen Amazonas

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vor die unvergitterte <strong>und</strong> weit offen stehende<br />

Haustür. Zeit für <strong>ein</strong>en kl<strong>ein</strong>en Schwatz. Jeder, der<br />

gerade vorbeigeht, ist <strong>ein</strong>geladen. Man kennt<br />

sich. Uns, die Neugierigen, lernt man sogleich<br />

kennen. Und so endet unser Abendspaziergang<br />

vor irgend<strong>ein</strong>er Haustür beim gemütlichen <strong>und</strong><br />

oft überraschend interessanten Gespräch.<br />

Dabei hätte ich so gerne noch mehr Häuser<br />

ausspioniert! Die meisten haben, wie es früher<br />

üblich war, weder Fenstergitter noch<br />

Glasscheiben. Nachts werden die gähnenden<br />

Fensteröffnungen mit hölzernen Läden<br />

hermetisch verschlossen. Aber bis alle schlafen,<br />

steht alles, der Hitze wegen, noch lange<br />

sperrangelweit offen.<br />

Die Häuser sind direkt an die halbmeter<br />

schmalbrüstigen Bürgersteige gebaut. Die Fenster<br />

rahmen die unterschiedlichsten, immer eher<br />

spartanischen Varianten des Wohnens <strong>und</strong><br />

Einrichtens. Im Zentrum immer der Tag <strong>und</strong> Nacht<br />

laufende Fernseher. Eine Hängematte, <strong>ein</strong> Sofa<br />

<strong>und</strong> unzählige Familienfotos, drei Dutzend<br />

dekorativ hinter <strong>und</strong> neben<strong>ein</strong>ander aufgebaute<br />

Amateuraufnahmen, <strong>ein</strong> Rahmen kitschiger als<br />

der nächste, auf Regalen, Beistelltischen oder gar<br />

auf dem Kasten der Klimaanlage aufgebaut. Der<br />

ganze Clan ist abgebildet. Alle Lieben in allen<br />

Lebensphasen, vom Schulabschluss bis zur<br />

Hochzeit, gar als Erinnerungsfoto des<br />

Verblichenen, zum sieben Todestag, als<br />

Erinnerung an alle trauernden Hinterbliebenen<br />

verteilt. In <strong>ein</strong>igen Häusern sind auch die Wände<br />

mit <strong>Foto</strong>s geschmückt. Um sie zu betrachten, muss<br />

man den Kopf weit in den Nacken legen.<br />

Unser kl<strong>ein</strong>er R<strong>und</strong>gang, immer wieder<br />

unterbrochen, endet am Hafen. Der endlos<br />

zubetonierte, schattenlose Platz, tagsüber<br />

fest in den Händen der Aasgeier, die sich um die<br />

vielen Abfälle streiten, wird er abends zum lokalen<br />

Treffpunkt. Kinder haschen Seifenblasen, die <strong>ein</strong><br />

älterer Mann als Kostprobe aus s<strong>ein</strong>en überaus<br />

kreativ selbst gebastelten Speiern Probe bläst. Sie<br />

sind spottbillig. Unter den achtsamen Augen der<br />

Gesellschaft treffen die jungen Mädchen ihre<br />

ersten Verehrer. Die jüngere Schwester langweilt<br />

sich tödlich in der ihr zugedachten Rolle der<br />

Sittenwächterin. Sie hält die Kerze, wie man hier<br />

dazu sagt. Da drüben spendiert der Vater der<br />

Kl<strong>ein</strong>familie <strong>ein</strong> fruchtiges Eis. Quer über dem<br />

Platz walken die Matronen den letzten Klatsch<br />

durch.<br />

Die Gespräche bestätigen es. Alenquer ist das<br />

typische Beispiel <strong>ein</strong>er Stadt des „Gab´s-schonmal-hier“.<br />

Der Schlagfertigkeit <strong>und</strong> dem ironischen<br />

Witz <strong>ein</strong>es Ex-Einwohners entkommt hier nichts.<br />

Könnte man die Reihe der sich immer wieder<br />

erschöpfenden Wirtschaftszyklen besser beschreiben,<br />

die so typisch sind für den Amazonas? Auf<br />

den Mauern des bis heute be<strong>ein</strong>druckenden<br />

Schulgebäudes kann man lesen, wie wichtig man<br />

sich hier nahm <strong>und</strong> auch wie buchstabengläubig<br />

man ist. In jenen besseren Zeiten pinselte man:<br />

„Schule Fulgênio Simões, majestätischer Tempel<br />

des Wissens“ <strong>und</strong> gleich um die Ecke: „Du bist<br />

der Stolz unserer Generationen“.<br />

Die Generationen allerdings sind schon alle<br />

weggezogen. Hier in Alenquer gab es, es ist gar<br />

nicht so lange her, den blühenden Handel mit<br />

Paranüssen, dann mit Jutte oder später den der<br />

schwarzen Pfefferkörnern. Außerdem <strong>ein</strong>en sehr<br />

erfolgreichen Fußballklub, alles kaum mehr als<br />

<strong>ein</strong>e oder zwei Generationen her. Dann, in den<br />

80er Jahren des letzten Jahrh<strong>und</strong>erts, gab´s gar<br />

Goldgräber <strong>und</strong> jetzt sollen Edelst<strong>ein</strong>vorkommen<br />

entdeckt worden s<strong>ein</strong>. Bis deren Ausbeutung<br />

freigegeben wird, gammelt die Stadt unter<br />

schlimmster politischer Misswirtschaft in der<br />

tropischen Hitze vor sich hin. Die <strong>ein</strong>zige, die alle<br />

„Gabs-hier-schon-mal“ überlebt <strong>und</strong> wohl noch<br />

<strong>ein</strong>e Weile überleben wird.<br />

Die katholische Kirche allerdings hat ihre <strong>ein</strong>st<br />

unbestrittene Vormachtstellung längst gegen die<br />

wie Pilze aus dem feuchten Boden schießenden<br />

evangelischen Kirchen verloren. Sie sind die<br />

<strong>ein</strong>zigen, die hier noch neue Kirchen,<br />

Entschuldigung, Tempel hochziehen. Sie ziehen<br />

jene Gläubigen aus den hölzernen Häuschen an,<br />

<strong>Amazonien</strong>, <strong>ein</strong> <strong>Foto</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lesebuch</strong> - <strong>Susanne</strong> <strong>Gerber</strong>-<strong>Barata</strong> 926

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