Amazonien - ein Foto- und Lesebuch - Susanne Gerber-Barata

Carimbó, Musik mit Humor
Gestehe es ungern ein, aber wirklich auf den
Geschmack gebracht haben mich zwei Sampler,
Raubkopien, die ich zu meiner Schande sei‘s
gesagt, beim Straßenhändler kaufte. Die
schreienden Farben der fotokopierten Hüllen
versprechen großspurig die besten Carimbós aller
Zeiten. Gleich hier auf dem Bürgersteig, zwischen
zwei Regen, spielt er mir eine kleine Kostprobe
vor, nur so zum Reinhören. Folge der Empfehlung
und entdecke den wirklichen Carimbó! Eine kleine
Kostbarkeit, ursprünglich, ein kleines, originales
und wirklich volkstümliches musikalisches
Schmuckstück.
Je mehr ich höre, desto breiter wird mein
Schmunzeln. Carimbó hat Humor und was für
einer! Schöpft aus dem prallen Leben. Jeder kriegt
seinen Carimbó ab: Es gibt einen für den „Gago“,
den Stammler, und natürlich fehlt auch der nicht,
der nicht zu seinen Hörnern stehen will. Alles wird
zu Musik, liefert kuriosen Anstoß zu einem höchst
mitreißenden Lied, im charakteristisch schnellen
Rhythmus, der Alt und Jung buchstäblich nach
zwei Minuten von den wackligen Klappstühlen
reißt. Es gibt ein Lied über den „Piolho“, die Laus.
Das nächste ist über Inesens Ziegenbock und ein
anderes über ein gestandenes, sozusagen in die
Jahre gekommenes Krokodil. Was für eine skurrile
Welt, in der auch der ins Gemüsebeet verirrte
Aasgeier nicht fehlt! Unverbraucht original und
lüpfig gelänge es ihm wohl gar Tote zu animieren,
und das nicht nur der hillarischen Texte wegen.
Schon sehe ich die bloßen Füße der lokalen
Schönheiten den Takt auf den nackten Boden
klatschen. Ihre grellbunten Blumenröcke aus
preiswerter Baumwollchita zeichnen wilde Kreise
in die Luft, die schlanken Armpaare fliegen: Ihre
männlichen Tanzpartner drehen und wenden sich,
einmal nach vorne, dann wieder zurück. Ein
einziges Vibrieren und Schütteln, das nicht nur die
bloßen Oberkörper der Vortänzer sogleich in
Schweiß badet. Bald tun es ihnen auch die
Touristen gleich.
Die raue, ungekünstelte Stimme Verequetes, des
Carimbó-Altmeisters, bis heute bewundert und
referenziert, schallt aus dem Lautsprecher, lässt
keinen verschnaufen, weiter und weiter zieht er in
atemlosem Rhythmus den Bogen eines neuen
Liedes. Bis heute gelingt es keinem anderen, die
Verse so kunstvoll zu zerkauen, genießerisch im
Rhythmus mit den Zähnen zu zermahlen. Seine
überaus witzigen Texte besingen immer und
immer wieder dieselben Themen, erzählen voller
Sehnsucht und verstecktem Heimweh von einem
unkompliziert einfachen Leben auf dem Land, ein
unterentwickeltes Hinterland, inexistent, in der
Erinnerung verklärt. Ein Leben, dessen eintönig
steter Fluss nur durch den Kalender religiöser und
profaner Feste unterbrochen wird.
Die Instrumente des Carimbós sind einfach,
scheinen direkt von der lokalen Blaskapelle
ausgeliehen zu sein. Sind fast alle leicht
mitzutragen, damit sie die Musikanten weder
beim Marschieren vor der Prozession noch beim
Totenzug behindern: Flöte, Querflöte, Banjo,
Tamburin und Rabecas, brasilianische
Streichinstrumente, Geigen nachempfunden. Nur
die Tambore, die den Rhythmus des Tanzes
markieren, sind so großmächtig, dass sich die
Spieler rittlings auf sie setzen, um sie zu
schlagen. Sie stammen, aus einem einzigen
Baumstrunk geschnitzt, wohl von Instrumenten
ab, die die Sklaven aus Afrika mitbrachten. Allein
schon ihre Namen verraten etwas von ihrem
Rhythmus: Reco-reco, Maracás und Afochê –
typisch brasilianische Schlag- und
Rhythmusinstrumente, die auf die
unterschiedlichen Wurzeln der Populär- und
Volksmusik hinweisen.
Die Gesänge der Ureinwohner fließen genauso in
den Mix ein wie afrikanisches Erbe und die
Musikkultur aus dem portugiesisch-iberischmaurischen
Raum. Beim Carimbó erinnert der
einfache Rhythmus, zwei nach links, zwei nach
rechts, deutlich an einen „Vira-vira“ aus Portugal,
allerdings in ein neues, amazonisch-tropisches
Kleid gesteckt, was sich vor allem in der puren,
naiven Lebensfreude und aus dem Herzen
kommende Fröhlichkeit, einem Urvergnügen am
Musizieren, ausdrückt.
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