Amazonien - ein Foto- und Lesebuch - Susanne Gerber-Barata

wächsernen Gaben gibt es das Schiff der Gelübde,
in dem alle Wachsfiguren gesammelt und später
von den Padres, wie die Sage geht, in einem
ewigen Zyklus eingeschmolzen und am nächsten
Círio als neue Ex-Votos wieder verkauft werden.
Andere gehen einen Teil des Weges auf den Knien
oder versorgen die Inbrünstigen am Seil mit
Wasser.
Alles beginnt gleich am ersten Tag nach meiner
Ankunft. Wir schlendern über den „Ver-o-peso“,
den legendären Markt, und lassen uns von den
exotischen Köstlichkeiten, von den von der
Feuchtigkeit tausendfach verstärkten Gerüchen
und exotischen Geschmäckern berauschen. Wir
beobachten den majestätischen Flug der
„Urubus“, der allgegenwärtigen Aasgeier, die
überall auf anfallende Happen lauern. Tauchen
zwischen die magischen Baracken mit den
Medizinal- und Heilpflanzen ein, wo man einen
Zauber kaufen könnte, der den Geliebten ganz
fest an einen bindet. Zum X-ten Mal schlängelt
sich einem eines der vier oder fünf Versionen des
Ave-Maria ins Ohr. Es ist die Begleitmusik des
Festes, eine ewige Schleife. Begleitet einem durch
die ganze Stadt, schallt aus allen allgegenwärtigen
Lautsprechern in den unterschiedlichsten
Variationen. Wird zwei, ja dreifach runtergespielt,
manchmal sogar gleichzeitig, eine irritierende,
religiöse Kakofonie, haarscharf am Kitsch vorbei,
aber doch herzer-greifend, irgendwie bewegend.
Die fliegenden Händler verkaufen schon die
Raubkopien der offiziellen CD. Auch die
allgegenwärtigen T-Shirts, bedruckt mit dem
diesjährigen offiziellen Foto der Heiligen, kann
man an jeder Ecke kaufen.
Später, hoch oben auf dem Platz mit dem Fort und
dem Casa das Onze Janelas zieht aber die
großmächtige „Mangeira“, der Mangobaum gleich
daneben, magisch meinen Blick auf sich. Er ist
über und über mit vielfarbigen Satinbändern
behängt. Sie heben sich effektvoll vom dunklen
Blattgrün ab und kräuseln und wellen sich leise in
der ständigen Brise. Es sei das Werk einer
Ausländerin, einer Künstlerin, die schon länger
hier wohne. Sie hat ihn als Wunschbaum, als Ex-
Votum-Baum kreiert. Hier kann jeder seine
Wünsche, Träume, meinen Dank für erhaltene
Gnaden ausdrücken. Kann ein Band auswählen, sie
darauf schreiben und einer der Helfer knüpft es
dann im Baum fest.
Aber noch ist es nicht soweit. Das Fest ist noch
jung und dauert drei Tage. Die winzige Statue der
Nossa Senhora de Nazaré, normalerweise hoch
oben in einem Alkoven, ist schon Tage vor dem
Círio von ihrem Platz heruntergestiegen und hat
ihre Kirche verlassen. Sie ist überaus fleißig. In den
Monaten vor dem Cirio reist sie unermüdlich
durch den ganzen Staat bis weit ins Hinterland. Am
Vortag wurde sie von einer tiefgläubigen
Motorradescorte feierlich nach Icoraçi gebracht,
die kleine Hinterlandstadt, die quer über dem
Amazonasdelta liegt.
Am Tag vor der Hauptprozession kehrt sie per
Schiff nach Belém zurück. Sie wird von vielen
festlich geschmückten Booten empfangen. Eines
nach dem anderen machen sich die Schiffe
frühmorgens auf, alle, ob groß oder klein, gut
ausgerüstet oder einfache Fischerboote, sind
festlich geschmückt und mit Lautsprechern
bestückt: noch mehr Ave-Marias in der klassischen
und in der Popversion. Alle havarieren
gefährlich nah am Kitsch. Langsam formiert sich
die Prozession der Boote, richtet sich zur
militärischen Dreiecksform aus. Schau, da am
Horizont! Tausende von Fingern zeigen auf den
Punkt, erschreckt laufe ich auf die Gegenseite
des – Gott sei Dank – großen Schiffes. Der
Kapitän hat die Gefahr auch erkannt. Über
Lautsprecher bittet er das gerührte Publikum,
sich doch bitte nicht alle gleichzeitig auf derselben
Schiffsseite zu versammeln. Das Schiff mit
der Statue ist ein Kreuzer der Marine,
schmucklos-hässlich in seinem militärischen
Tarngrau, die Kanone auf dem Vorderdeck im
Anschlag. Wieder das Raunen, wieder die
Schlagseite und da steht sie! Winzig klein,
hochverehrt und heilig, streng bewacht von
strammen Matrosen in blendenden Galauniformen!
Zieht alle Aufmerksamkeit auf sich.
Weinen, Rührung, Rosenkränze werden gebetet.
Alle stimmen in die ewig gleiche und immer
wieder anrührende Festmusik ein. Auch ich bin
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