Amazonien - ein Foto- und Lesebuch - Susanne Gerber-Barata

Von den Mangobäumen
Der hohe Korb öffnet seinen Schlund weit und
ausladend, übervoll, fast quillt ihm die fruchtige
Last über den Rand. Mangos, Kokosmangos, gelb,
flach und fest und ein bisschen gewöhnlich. Sie
haben ziemlich viele Fasern und Fäden. Rieche
ganz klar ihren charakteristischen Geruch, erdig,
harzig und grün. Der Korb mit dem groben,
luftdurchlässigen Flechtwerk, von den Indios
entwickelt und weitervererbt, verhindert, dass die
süße Last verdirbt, wichtig bei einer
Durchschnittstemperatur von 28 Grad und 80 %
Luftfeuchtigkeit. – „Wie viel kosten sie?“ – Der
Junge verkauft das halbe Dutzend für einen Real,
ein Nebenjob, ein kleines Extraeinkommen,
eigentlich passt er auf die geparkten Autos auf.
Könnte die Mangos, vielleicht vom Aufprall leicht
angequetscht, gleich hier auf dem Boden selbst
zusammenlesen. Aber die besten befinden sich
immer außer Reichweite begehrlicher Hände.
Müssen verdient/erobert werden, sind, klar, eine
kleine Anstrengung wert, ein paar leichte
Körperübungen, etwas Gymnastik.
Die zwei Männer beobachte ich von Weitem.
Wollen wohl die junge Frau in ihrer Gesellschaft
bezirzen. Wählen mit Bedacht. Jeder zeigt auf
eine andere. Zielen, vergewissern sich noch
einmal, ob sie alles in Betracht gezogen haben.
Dann endlich werfen sie das Projektil hoch hinauf,
ein herumliegender Stein, eine noch grün
heruntergerissene Mango. Strecken sich im
Sprung, lang und noch höher, legen das ganze
Gewicht und alle Kraft in den Salto, lachen,
vergnügen sich königlich, weichen dem los
geschlagenen Ast- und Blätterregen aus, um
endlich jene Mango, die köstlichste von allen,
aufzufangen. Gibt´s einen süßeren ersten Biss als
jener? Ein Spiel für kleine Jungen, das auch für
größere seinen Reiz nicht verloren hat.
Mangobäume. Alleen aus Mangobäumen. Gibt es
allgegenwärtigere Bilder und sich immer
wiederholendere sehnsüchtig-süße Erinnerungen
an die Stadt Belém in Pará? Üppig leiden sie von
Dezember bis Februar unter der kostbaren
Früchtelast. Es scheint, dass ihnen die ständigen
Regengüsse und die hiesigen hohen Temperaturen
sehr behagen. Sie wurden zur Zeit des Kautschuks
extra aus Indien importiert. Bezeugen somit die
Grandezza anderer, vergangener, ziemlich
globalisierter Zeiten. Modernen Urbanisten
würden sie nie unterkommen, die mögen
grundsätzlich lieber Blumen und dekorative
Blätter. Fallende Mangos – eine öffentliche
Gefahr! Ein unschuldiges Auto im großzügigen
Schatten eines Mangobaumes abgestellt und von
einer herunter schießenden Mango eingedellt! Ob
die Versicherung wohl zahlt? Oder die
Krankenkasse? Dann wenn einer auf einem
übersehenen, schlecht abgenagten und damit
äußerst schlüpfrigem Mangokern ausrutschte?
Von jenen angeheiterten Wespen gestochen, die
sich an der süßen Fäulnis, überreichlich
vorhandenen, verderbenden Mangofleisches
alkoholisiert hat?
Die Mangos jedenfalls sind allgegenwärtig.
Schwimmen angebissen, puh, unreif, in den
stehenden Abwässern der offenen Kanäle, halb
Regen, halb Abfluss, färben, neben dem von
unzuverlässigen Müllmännern ignorierten
Müllsäcken, überreif runter geplumpst den
Bürgersteig buttergelb. Wenige gelangen in
menschliche Mägen. Verfallen Sie ja nicht auf die
absurde Idee irgendwo einen Mangosaft trinken
wollen! Die Mangos hier füllen höchstens den
Magen oder den Geldbeutel weniger
Begünstigter. Die sind so zahlreich wie die
Mangos, verkaufen im erfrischenden Schatten
der Alleen, oder sind es vielleicht gar
„Mangazeis“, „Mangenhaine“? des Zentrums an
jeder Straßenecke tausenderlei Kinkerlitzchen.
Ein einzelner, ein ganz spezieller Mangobaum
bleibt mir unvergesslich. Mystisch, synkretistisch,
ein heiliger, heidnischer Baum, zu Ehren eines
vergangenen Círios mit Satinbändern in den
schönsten Regenbogenfarben geschmückt.
Jedem Band „Promessas“, Versprechen, eine Art
Votivgaben, auf den Stoff geschrieben, dem
Baum anvertraut, eins neben dem anderen in
sein Geäst gebunden, schon von Weitem ein
heiterer Gruß. Schöne, kreative Lesung, eine
neue Interpretation und eine Art Versöhnung mit
der Popularität der Mangobäume Beléms.
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