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Amazonien - ein Foto- und Lesebuch - Susanne Gerber-Barata

Foto- und Lesebuch über den brasilianischen Amazonas

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Das Haus der Farinha<br />

Im Hinterland haben viele Leute <strong>ein</strong> Haus der<br />

Farinha, „uma Casa de farinha“, in dem sie für den<br />

Eigenbedarf <strong>und</strong>/oder zum Verkauf Farinha<br />

herstellen. Normalerweise ist es etwas vom<br />

Haupthaus zurückversetzt, eigentlich mehr <strong>ein</strong><br />

Pavillon, ohne Trennwände, nur mit Palmblättern<br />

überdacht. Der Ofen ist <strong>ein</strong>fach, r<strong>und</strong> oder<br />

rechteckig gemauert, <strong>und</strong> wird von hinten mit<br />

Holz befeuert.<br />

Heute kann ich zum ersten Mal den ganzen<br />

Prozess mitverfolgen. Das Anwesen ist <strong>ein</strong>fach,<br />

die Frauen des Hauses lassen sich nicht blicken,<br />

sind in der offenen Küche am Geschirr spülen.<br />

Werfen uns hie <strong>und</strong> da <strong>ein</strong>en misstrauischen Blick<br />

zu. Auch die drei H<strong>und</strong>e, <strong>ein</strong>ige in erbarmungswürdigem<br />

Zustand, wie so viele hier, bleiben auf<br />

Distanz. Aber der Hausherr ist ganz in s<strong>ein</strong>em<br />

Element. Er produziert fast wöchentlich Farinha.<br />

Auf der nackten Erde des Hofes picken frei<br />

laufende Hühner <strong>und</strong> <strong>ein</strong>e kurzb<strong>ein</strong>ige Ente<br />

schnappt sich geschickt Fruchtfleisch aus <strong>ein</strong>er<br />

herumliegenden Mango. Weiter hinten hängen<br />

leere Säcke auf <strong>ein</strong>er L<strong>ein</strong>e zum Trocknen.<br />

Ist die Maniokwurzel reif, für jedes Endprodukt<br />

gibt es nicht nur die perfekte Wurzel, sondern<br />

auch den richtigen Zeitpunkt, kann es losgehen.<br />

Für Farinha werden die ungeschälten Knollen<br />

St<strong>und</strong>en oder Tage lang <strong>ein</strong>geweicht. Die Schale<br />

lässt sich danach, es hat <strong>ein</strong> Gärungsprozess<br />

<strong>ein</strong>gesetzt, ohne Probleme abstreifen. Verwendet<br />

man süße, ungiftige Maniok, so fällt das Wässern<br />

weg <strong>und</strong> die Knollen werden wie hier, im Kreis <strong>und</strong><br />

im männlichen Kollektiv geschält <strong>und</strong> dann<br />

gerieben. Dann wird der ganze Segen durch die<br />

mechanisierte Reibe getrieben. Die Hände halten<br />

die Knollen ganz nah an die scharfen Messer. Es<br />

gibt k<strong>ein</strong>en Schutz für die Finger oder er wurde, zu<br />

unpraktisch, abmontiert. Das entstandene Mus<br />

wird in recycelte Mehlsäcke gefüllt <strong>und</strong> in der<br />

ebenfalls mechanisierten Holzpresse so lange<br />

ausgepresst, bis es fast trocken ist. Der Saft wird<br />

nicht verwendet. Er versickert, von <strong>ein</strong>em Rohr<br />

weggeleitet, in der nackten Erde.<br />

Die ausgepresste Masse wird in <strong>ein</strong>en riesigen<br />

hölzernen Zuber geleert. Immer wieder geht <strong>ein</strong>er<br />

der Hilfskräfte hinters Haus <strong>und</strong> feuert das hoch<br />

lodernde Feuer im Ofen nach, schiebt noch <strong>ein</strong>en<br />

Ast ins züngelnde Feuer. Denn nun kommt der<br />

letzte Schritt. Mit dem leeren Panzer <strong>ein</strong>er armen<br />

zum Festbraten gewordenen Schildkröte schöpft<br />

<strong>ein</strong>er der beiden Gehilfen die Masse auf <strong>ein</strong><br />

viereckiges Sieb. So werden gröbere, nicht<br />

zerkl<strong>ein</strong>erte Stücke aussortiert. Lage um Lage siebt<br />

das viereckige Gitter Maniokmehl aufs heiße Blech<br />

des hüfthohen Holzherdes. Zwei oder drei<br />

Hilfskräfte wenden, stoßen <strong>und</strong> schieben das Mehl<br />

ständig hin <strong>und</strong> her. Werfen es dazwischen in<br />

hohem Bogen mit den riesigen Schabern auf, <strong>ein</strong><br />

richtiger Tanz, so dass es von allen Seiten gut<br />

geröstet wird. Das ständige Durchmischen <strong>und</strong><br />

Aufwerfen verhindert, dass sich zu dicke<br />

Klumpen bilden, lässt die Farinha gleichmäßig<br />

toasten <strong>und</strong> trocknen. Auch das letzte<br />

Gift verflüchtigt sich, von der Bruthitze<br />

verdampft. Gut gelüftet <strong>und</strong> ausgekühlt, ist die<br />

Farinha nun fertig für den Konsum. Sie wird in<br />

riesige Säcke abgefüllt. Die selben, die ich später<br />

in langen Reihen auf dem Markt wieder finde.<br />

Ach, <strong>und</strong> die unappetitlich über den Zaun<br />

gehängten Fettstreifen? Das ist Talg. Damit wird<br />

der Ofen in regelmäßigen Abständen neu<br />

<strong>ein</strong>gefettet.<br />

Nun fehlt nur noch <strong>ein</strong>e Farinhadegustation.<br />

Wohl das Exotischste, Trockenste, das man sich<br />

denken kann. Kann ihnen aber aus eigener<br />

Erfahrung versichern, dass man auf den<br />

Geschmack kommt. Je frischer <strong>und</strong> knackiger,<br />

desto besser!<br />

<strong>Amazonien</strong>, <strong>ein</strong> <strong>Foto</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lesebuch</strong> - <strong>Susanne</strong> <strong>Gerber</strong>-<strong>Barata</strong> 724

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