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Amazonien - ein Foto- und Lesebuch - Susanne Gerber-Barata

Foto- und Lesebuch über den brasilianischen Amazonas

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Unsch<strong>ein</strong>bar unsichtbar<br />

Das ständige nervöse Kreuzen, die unzähligen<br />

disziplinierten <strong>und</strong> riskierten Überholmanöver<br />

gehen ohne den kl<strong>ein</strong>sten Stau oder gar lästige<br />

Verzögerungen vor sich. Der stetige Fluss stockt<br />

k<strong>ein</strong>e Sek<strong>und</strong>e. Emsig krabbelt <strong>und</strong> kribbelt es in<br />

alle Richtungen. Der Draht, eigentlich als<br />

Abschrankung <strong>und</strong> Hecke zwischen den<br />

Nachbarhäusern ausgespannt, dient<br />

verschiedenen Ameisenvölkern, sie leben hoch<br />

oben auf den Bäumen, als hochwillkommene<br />

Orientierung <strong>und</strong> viel befahrene Straße. Auch die<br />

Liane, die sich leicht gekurvt hinabsenkt, sich<br />

praktischerweise mit dem Draht kreuzt, fast bis<br />

auf den Boden reicht, ist geradezu überlastet,<br />

wird ständig emsig bekrabbelt, dient sozusagen<br />

als grüne Autobahn.<br />

Im brechenden Licht des Abends zeichnen sich<br />

tausend kl<strong>ein</strong>e, aufrechte Silhouetten gegen die<br />

bleich zuckerrosa Nachthimmel ab. Ob sie nie<br />

schlafen? Wahrsch<strong>ein</strong>lich gibt es ihrer zu viele.<br />

Manche, zum Beispiel die Blattschneiderameisen<br />

aus dem Gemüsebeet, überraschen mich jeden<br />

Tag aus neue mit dem nächtlichen Kahlschlag<br />

<strong>ein</strong>er andern Pflanze. Habe sie schon halbe<br />

Bäume nack tschlagen sehen. Die am Morgen<br />

noch herumliegenden, an den Rändern<br />

halbmondförmig angeknabberten Blätter zeugen<br />

von <strong>ein</strong>em Teamwork, das s<strong>ein</strong>esgleichen sucht.<br />

Ihr Werk, ihre Emsigkeit <strong>und</strong> ihre Effizienz sind<br />

bemerkenswert. Schneidet die Vorhut mit <strong>ein</strong>em<br />

<strong>ein</strong>zigen kräftigen Biss die Blattstiele durch,<br />

sodass die Blätter wie grüne, lautlose Segel <strong>ein</strong>s<br />

nach dem anderen als grüner Regen zu Boden<br />

sinken, wartet da schon die nächste Truppe,<br />

darauf spezialisiert, kl<strong>ein</strong>e, halbr<strong>und</strong>e Stücke aus<br />

den Blättern zu schneiden. Diese werden dann von<br />

äußerst emsigen Arbeiterinnen hochkant in den<br />

Stock getragen, gezerrt, gebuckelt, <strong>ein</strong>e<br />

Herkulesarbeit. Oft sind die Segel drei, viermal so<br />

groß wie die fingernagellangen Ameisen. Daselbst<br />

sind andere da, die sie in Pilzkulturen anlegen,<br />

verrotten lassen, was dann den Kreislauf schließt<br />

<strong>und</strong> den Nachwuchs ernährt.<br />

Blattschneiderameisen verachten auch Papier,<br />

Plastik, gar Silikon nicht. Was die Pilzkulturen<br />

allerdings damit anfangen, entzieht sich m<strong>ein</strong>er<br />

Kenntnis.<br />

Da auch die Luftfeuchtigkeit hier sehr hoch ist,<br />

finden auch kl<strong>ein</strong>e Pflanzen, <strong>ein</strong>e Art Bromelien,<br />

die sich normalerweise wie struppige Bärte in<br />

Bäume hängen, an den ausgespannten Drähten<br />

Gefallen. Irgendwie gelingt es denen, wohl vom<br />

Wind her gewehten Samen, sich am Draht<br />

festzukrallen, wo sie wachsen <strong>und</strong> gedeihen,<br />

ausgenommen asketisch, denn sie beziehen ihre<br />

Nahrung sozusagen aus der Luft. Mit der Zeit<br />

werden sie zu kl<strong>ein</strong>en, etwas unordentlich<br />

kugeligen Gebilden.<br />

Auch so putzige Tierchen wie die „Mucura“, wie<br />

die Beutelratte, das Opossum, hier genannt wird,<br />

rattenartig, aber fast katzengroß, nachtaktiv <strong>und</strong><br />

mit <strong>ein</strong>em elend langen, nackten Schwanz,<br />

zweckentfremden Drähte oder Telefonleitungen<br />

zu ihren Zwecken. Mit eigenen Augen konnte ich<br />

das Tierchen nach dem Einfallen der Nacht dabei<br />

beobachten, wie es zielsicher auf den nächsten<br />

Telegraphenmasten zulief, ihn gekonnt in<br />

Rekordzeit erklomm <strong>und</strong> <strong>ein</strong>mal oben<br />

angekommen wie <strong>ein</strong> schwereloser Seiltänzer auf<br />

dem Draht davonlief, immer weiter Richtung<br />

Stadtzentrum. All das mit solch <strong>ein</strong>er<br />

Selbstverständlichkeit, dass man hätte schwören<br />

können, dass sie das jeden Tag so mache, sehr<br />

genau wisse, wohin sie gelangen wolle.<br />

Auch im Strandhaus drin haben sich nette<br />

Tierchen angesiedelt. Sie sind zu dritt, allerdings<br />

von unterschiedlicher Größe. Als sozusagen<br />

perfekte Hausgenossen versorgen sie sich auch<br />

gleich selber. Rücke ich ihnen zu nahe auf die<br />

glänzende Pelle, weil ich ausgerechnet den Teller<br />

wegnehme, unter dem sie Zuflucht gesucht<br />

haben, verschieben sie sich geschickt seitlich<br />

unter das Abtropfgestell oder den Küchenherd,<br />

die ihnen wohl perfekt sch<strong>ein</strong>en, um ihre Haut<br />

immer angefeuchtet zu halten. Sie haben die<br />

Bromelien <strong>und</strong> Sümpfe gegen die nicht sehr gut<br />

ventilierte, schattige Küche des Hauses am<br />

Strand getauscht. Hier bieten unzählige<br />

feuchtwarme Nischen oder gar nasse Tücher,<br />

<strong>Amazonien</strong>, <strong>ein</strong> <strong>Foto</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lesebuch</strong> - <strong>Susanne</strong> <strong>Gerber</strong>-<strong>Barata</strong> 239

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