Amazonien - ein Foto- und Lesebuch - Susanne Gerber-Barata

Zeit für einen Schwatz oder hinterstes Hinterland
Eigentlich hat mich der Friedhof hierher gebracht.
Habe ihn von hoch oben erblickt. Das Ufer, ein
paar Baumreihen, er zieht mich magisch an. Nun
schaukle ich leise im ausgeliehenen Stuhl hin und
her. Der Stuhl ist nicht viel mehr als ein
Eisenstangengerüst mit feinen Plastikschnüren
überzogen, tropenklimatauglich, von so
zweifelhaftem wie populärem Design. Das
hochstelzige Holzhaus ist giftgrün gestrichen.
Stelzen und markante Längsrippen strahlen weiß.
Traditionelle, bewährte Architektur – der Wind,
der unter den Stelzen durch bläst, hält das Haus
kühl. Geschickt fährt die Hand meines Gastgebers
fort, seine malerisch ausgehängten Netze zu
flicken. Sein Arbeitspartner ist wortkarger.
Eigentlich wollte ich nur ein Foto. Aber den extra
für mich hergeschafften Stuhl, vorsorglich in den
Schatten eines Mangobaumes gestellt, kann ich
nicht zurückweisen. Und das sich entspannende
Gespräch ist so unerwartet wie interessant.
Die unschuldige Frage, ganz zu Anfang des
Gesprächs eingeflossen, verrät sein Weltbild.
Schickt ihr sogleich und vorsorglich die
freundliche Zusicherung hinterher, dass er mich
trotz meines Akzentes bestens verstehe. - Kommt
die Senhora vielleicht aus Portugal? – Nein?
Mache wenig Anstalten, ihm den absolut
nebensächlichen Unterschied zwischen der
Schweiz und Schweden zu erklären. Das Gespräch
fließt ganz natürlich. Er zeigt sich weltoffen, hat
etwas zu sagen. Das hinterwäldlerische
Misstrauen, die offensichtlich trennenden
Klassenunterschiede und –schranken, die
überlässt er seinem Kollegen, der kaum ein Wort
beiträgt.
Frage ihn zum Schluss nach dem jüdischen
Friedhof. Er ist durch einen goldenen Davidstern
kenntlich gemacht. Es ist der Erste, den ich hier im
Norden finde. Die Gräber sind der Tradition
entsprechend schmucklos. Später erfahre ich, dass
es manch einen Juden ins amazonische Hinterland
verschlagen hat. Auf der anderen Straßenseite
liegen die Katholischen begraben. Hier sind die
Gräber deutlich prächtiger.
Gehe meiner Wege. Hinterlandcharme pur.
Wieder am Hafen, die Sonne wird gleich hinter
den Horizont fallen, holt sich die Frau Kapitän
gerade etwas Koriander fürs Abendessen vom
schwimmenden Dachkräutergarten. Es fehlt nur,
dass der Hausherr zum Essen auf die wippenden
Planken bittet. Er wiegt sich leise auf Deck, den
Bierbauch entblößt. Weiter vorne streiten zwei
junge Hähne bitterböse um Territorium. Zwei
clevere Jungen verkaufen aus einer Schubkarre
Bananen. Eigentlich wollten sie erst nach Hause
gehen, wenn sie alle verkauft haben. In der
Zwischenzeit fährt der eine den anderen statt der
Bananen in der Schubkarre spazieren. Auf dem
Polizeiposten schäkert der uniformierte Polizist
heftig mit ein paar weiblichen, leicht bekleideten
Verehrerinnen. Ob es sich gar um Angehörige
der Insassen des voll gepferchten Gefängnisses
handelt? Nur ihre Arme sind sichtbar. Die
Gesichter unkenntlich hinter den Gittern. Der
Gesprächston ist locker flockig. Auch sie nehmen
teil am friedlich launigen Hinterwäldlerplausch.
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