Amazonien - ein Foto- und Lesebuch - Susanne Gerber-Barata

N.t. und i9
Wir konstruieren gerade ein Haus. Hier in
Santarém, am Ende der amazonischen Welt.
Nicht, dass es mich stören würde, am Ende der
Welt zu wohnen. Unser Alltag ist normal. Nur
beim Bauen sind einige Besonderheiten zu
betrachten. Man muss mit kleinen
Einschränkungen leben und ziemlich
kompromissbereit sein.
Nicht nur die Auswahl an Kacheln, Bodenbelägen,
Wasserhähnen und allen anderen dekorativeren
Elementen ist etwas eingeschränkt. Auch an
simplem Zement kann man sich mal die Zähne
ausbeißen. Der fehlt nämlich gerade. Morgen soll
eine Ladung kommen, ja. Aber ganz offen gesagt,
die wird dem Erstbesten verkauft, der bar bezahlt.
Und ach ja, der auch gleich den Transport
organisiert hat! Denn der zementgraue
Lagerraum, ist sozusagen nur eine
Zwischenstation. Service exklusive sozusagen.
Später kann man auch den Grund für das fatale
Fehlen des Zements erfahren. Es gibt in der
ganzen Stadt keinen Sack Zement mehr zu kaufen.
Das Zementmonopol hat eine einzige Firma.
Deren Patriarch ist kürzlich ganz überraschend
mitten aus dem Leben heraus gestorben. Und die
Erben sind total überfordert. Waren schlicht nicht
imstande, die Produktion ohne Unterbruch weiter
zu führen. Irgendwann normalisiert sich die Sache
wieder. Kurz darauf halbiert sich der
Preis für einen Sack Zement von gestern auf
heute. Dumping. Ein neuer Anbieter hat die
Marktlücke entdeckt. Der freie Markt beginnt zu
funktionieren.
Bin gerade in einem der drei oder vier
Geschäften, die Fußbodenkacheln verkauft. Aus
Platzmangel sind sie auf dem Bürgersteig
ausgestellt, wo sie sich an der Hauswand zu einem
wilden Mosaik zusammen finden, die Hauswand
hoch. Habe endlich, es gibt zementgewordenes,
künstlichem Gras, grau erstarrte Betonwellen und
gar kalten Kacheln, die warmes Holz imitieren,
endlich eine gefunden, die angenehm neutral ist.
Die ist es! Die Quadratmeter hat mir der Maurer
schon aufgeschrieben. Bitte den Verkäufer, die
Bestellung aufzunehmen, alles auf dem
Bürgersteig. Dieser aber verwandelt meine
Erleichterung und meiner Freude über den
unerwarteten Fund mit einem Federstrich in
einen Alptraum. –”N.t.! Steht doch da groß und
handgeschrieben auf der ausgestellten
Musterkachel!”- Die Buchstaben sind, ich gebe es
zu, unübersehbar. ???N.t. ??? Hochnäsig, fast ein
wenig mitleidig lüftet er mir das Geheimnis des
Geheimcodes: N.T. steht für “Não”, Nein, T. für
“tem”, haben. Die Kacheln sind ausverkauft!!!!
Bestellen? N.t.. Bestellen habe man nicht im
Angebot. Erst in zwei oder drei Monaten komme
eine neue Ladung. Und man wisse nie so genau,
was denn da komme .......
Wie immer! Ich bin es, die etwas kaufen will! Der
ach so liebenswürdige Verkäufer macht mir einen
riesigen Gefallen, mir überhaupt etwas verkaufen
zu wollen! Ja, es war schon immer etwas
komplizierter, einen besonderen Geschmack zu
haben.
Bei der Konkurrenz gibt’s einen neuen
Geheimcode. Die Konkurrenz nennt sich “i9”! Es
ist eine Freundin, sie sitzt im selben Boot, auch sie
baut gerade, die mir auf die Sprünge hilft.
“I+nove”, (Neun), ergibt das Wort “inove”,
imperativ von innovieren, eine Innovation
machen. Ja, wenn einer ein Haus baut, innoviert
er in den unterschiedlichsten Dingen.
Eines jedenfalls wird mir immer klarer – perfekt,
genauso wie ich es mir immer gewünscht habe,
wird leider nur mein nächstes Haus .... .
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