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Amazonien - ein Foto- und Lesebuch - Susanne Gerber-Barata

Foto- und Lesebuch über den brasilianischen Amazonas

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Vor die H<strong>und</strong>e gegangen I<br />

Belém ist wie <strong>ein</strong> kostbares, f<strong>ein</strong> zilseliertes Stück<br />

Mobiliar, ehemals allerletzter Schrei, irgendwann<br />

in der amazonischen Vergangenheit, heute leider,<br />

leider in Vergessenheit geraten, in Ungnade<br />

gefallen, weggestellt verstaubt es auf irgend<br />

<strong>ein</strong>em Dachboden. Einer jener Trends, die, wie so<br />

viele andere vor <strong>und</strong> nach ihnen, heute leider,<br />

leider vergessen wurden, komplett <strong>und</strong><br />

hoffnungslos altmodisch sch<strong>ein</strong>en. Ein Puzzlestück<br />

nur das von fernen, verflossen Glorien zeugt.<br />

Zeitzeugin, Überlebende, die schon so viele<br />

neuere Moden vorbeiziehen hat sehen, die, die<br />

k<strong>ein</strong>er zählte <strong>und</strong> alle anderen dazu. Eine Art<br />

Monster, hier ziemlich abgeschlagen <strong>und</strong> da<br />

deutlich zerkratzt, völlig aus dem Leim geraten,<br />

von zu vielen Umzügen, unachtsamen Bewohnern<br />

<strong>und</strong> gleichgültigen Bediensteten misshandelt. Nie<br />

hat sich <strong>ein</strong>er mit mehr als Worten bereit erklärt,<br />

die Bissstellen, hinterlassen vom Zahn der Zeit,<br />

die aufgeschlagenen Kanten <strong>und</strong> die weg<br />

gesplitterte Farbe restaurieren zu lassen. Zu<br />

anstrengend, zu aufwendig <strong>und</strong> überhaupt. Ein<br />

oder zweimal hat <strong>ein</strong>er etwas Lack darüber<br />

geschmiert, der die herausgeschlagenen Scharten<br />

schlecht kaschiert.<br />

K<strong>ein</strong>em ging der Niedergang bis auf´s Herz, so tief,<br />

dass er etwas getan hätte, das über das übliche<br />

Lamentieren, Bedauern, leider, ja leider.....<br />

hinausginge. Sprach zwar mit von Sehnsucht<br />

rauer Stimme von jenen ach so glamourösen<br />

Zeiten, um so vieles besseren <strong>und</strong> schöner, aber es<br />

folgten k<strong>ein</strong>e Taten. Für das Möbelstück ändert<br />

sich nichts. Wurde, in irgend<strong>ein</strong>em Zimmer in<br />

irgend<strong>ein</strong>e staubige Nische, <strong>ein</strong>e dunkle Ecke<br />

gerückt. K<strong>ein</strong> Vorzeigezimmer, k<strong>ein</strong> Hof halten,<br />

wofür es eigentlich gebaut wurde.<br />

Belém steht, immer noch, wacklig zwar, aber<br />

widersteht. Hält tapfer aus, <strong>ein</strong>e echte Lady. Die<br />

tief liegenden Augen gezeichnet. Die Krähenfüße<br />

graben sich immer tiefer. Die papierdünne Haut<br />

des Halses <strong>und</strong> der Hände zerknautscht, von<br />

faltigen Irrwegen durchzogen. Das versprochene<br />

Lifting, tausendfach versprochen, lässt auf sich<br />

warten. Dieses Risiko, sie auf den Operationstisch<br />

zu legen! Hat, richtig überlegt, Glück im Unglück,<br />

wirklich Schw<strong>ein</strong> gehabt! Ist es hier nicht bis heute<br />

Brauch, all das in Schutt <strong>und</strong> Asche zu legen, was<br />

an den soeben Verblichenen, die Vorväter<br />

erinnern könnte? Damit nichts, aber auch gar nicht<br />

an den Verstorbenen <strong>und</strong> s<strong>ein</strong>e Zeit erinnere!<br />

Das Zusammenleben in dieser Stadt ist, war immer<br />

schon eng. Brust an Brust, Mauer an Mauer,<br />

Gitter an Gitter. Jeder Schritt <strong>ein</strong> brüsker Schnitt<br />

durch alle sozialen Schichten. Unerklärlich<br />

kompliziert <strong>und</strong> so intim <strong>und</strong> organisch, dass sich<br />

das Oben <strong>und</strong> Unten mit dem Miserablen ständig<br />

vermischen. Nicht mal Stadtviertel oder<br />

Wohnblöcke trennen, rücken wenigstens die<br />

extremen sozialen Unterschiede aus dem Blickfeld.<br />

Zu <strong>ein</strong>geübt das Weg-, Darüberhinweg-Schauen.<br />

Zementierte, täglich bejahte Strukturen von<br />

Senhor <strong>und</strong> Untergebenen, feudal, von beiden<br />

Seiten zementiert, durch Gott <strong>und</strong> das Schicksal<br />

gegeben, unverrückbar <strong>und</strong> ewiglich durch die<br />

Geburt vorbestimmt.<br />

Hier der w<strong>und</strong>erschöne Stadtpark, wohl gepflegt,<br />

nur Pudel, Cocker Spaniel <strong>und</strong> Bulldoggen. Zwei<br />

Schritte weiter Straßenh<strong>und</strong>e, Underdogs, solche<br />

mit vier <strong>und</strong> andere mit zwei B<strong>ein</strong>en. Die<br />

Bürgersteige voller illegalen Mahlzeitenverkäufer,<br />

Fliegenden Dienstleister <strong>und</strong> Händler,<br />

für viele die <strong>ein</strong>zige Art <strong>ein</strong> Auskommen zu<br />

verdienen. Die <strong>ein</strong>en verscherbeln im mobilen<br />

Bauchladen Raubkopien der neuesten<br />

Hollywood- <strong>und</strong> Playstation-Lancierungen, die<br />

ihrerseits von den oberen Klassen gekauft<br />

werden. Fast an jeder Ecke <strong>ein</strong>es jener<br />

armseligen Tischchen, „Jogo de Bicho“, illegales<br />

Glücksspiel, <strong>und</strong> an <strong>ein</strong>em anderen, noch<br />

wackligeren, richtet <strong>ein</strong> armer Schlucker Handys<br />

her oder verkauft unnütze Kinkerlitzchen. Vor<br />

dem super-schicken Supermarkt hingestreckt <strong>ein</strong><br />

Betrunkener. Seite an Seite mit dem<br />

Zeitungsverkäufer, der für jede Zeitung s<strong>ein</strong><br />

Leben riskiert, wenn er sich vor die<br />

Autoschlangen wirft. Die noch unverkauften<br />

Exemplare sind <strong>ein</strong>fach am Straßenrand<br />

aufgestapelt.<br />

<strong>Amazonien</strong>, <strong>ein</strong> <strong>Foto</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lesebuch</strong> - <strong>Susanne</strong> <strong>Gerber</strong>-<strong>Barata</strong> 579

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