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Amazonien - ein Foto- und Lesebuch - Susanne Gerber-Barata

Foto- und Lesebuch über den brasilianischen Amazonas

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Époque hinüber, die so brutal mit dem Ende des<br />

Kautschukbooms zusammenbrach, <strong>und</strong> alle <strong>und</strong><br />

alles mit sich in den Zerfall riss. Hier <strong>ein</strong> paar<br />

filigrane Zinkvordächer, <strong>ein</strong> paar viktorianische<br />

Eisengitter, in den leeren Fensterlöchern<br />

Bauschutt, Unkraut, Dreck <strong>und</strong> Abfall. Suche noch<br />

nach <strong>ein</strong> paar interessanten Winkeln, als sich der<br />

Wächter wieder nähert: - „Sind Sie vom „National<br />

Geografic“? – Danke für die Blumen! Welch<br />

fre<strong>und</strong>liche Überschätzung <strong>ein</strong>es bescheidenen<br />

Interesses an zerfallenden Halbruinen! Erzählt<br />

mir, die Vern<strong>ein</strong>ung verscheucht ihn nicht, von<br />

<strong>ein</strong>em Fre<strong>und</strong>, der Lehrer ist <strong>und</strong> sich, was für<br />

<strong>ein</strong>e Rarität, auch für diese verloren gegangene<br />

Vergangenheit interessiert. Er soll sogar <strong>ein</strong> Buch<br />

mit Bildern aus der Zeit haben! Da könne man die<br />

Straßenbahnen bew<strong>und</strong>ern, sehen, wie alles hier<br />

funktioniere <strong>und</strong> pulsiere. Für <strong>ein</strong>en kurzen<br />

Augenblick verlasse ich das Durch<strong>ein</strong>ander, die<br />

Verwahrlosung, unter der fast die ganze<br />

Hafenanlage leidet. Viele der offiziellen<br />

Linienschiffe bedienen ihre K<strong>und</strong>en skandalös<br />

<strong>ein</strong>fach an improvisierten Ständen unter freiem<br />

Himmel, am Kopf schmaler Treppen, die zu<br />

zweifelhaften Stegen führen, über die alles<br />

verladen wird, Passagiere <strong>und</strong> Fracht! Kann den<br />

stechenden, durch die Feuchtigkeit noch<br />

penetranteren Geruch riechen, den die<br />

allgegenwärtigen Katschukballen ausströmten,<br />

die hier verschifft werden. Sehe nun <strong>ein</strong>e gewisse<br />

Logik, <strong>ein</strong> Kommen <strong>und</strong> Gehen von Waren <strong>und</strong><br />

Personen, alles von Ausländern, in der Hauptsache<br />

von Engländern <strong>und</strong> Amerikanern organisiert, die<br />

den Hafen nicht nur konstruierten, sondern ihn<br />

auch gleich betrieben. Zwar begann die Öffnung<br />

der Häfen im historischen Jahr 1852, als der Kaiser<br />

Don Pedro II dem Visconde von Mauá das Recht,<br />

<strong>ein</strong> Monopol, zugestand, das Amazonasgebiet mit<br />

Schiffen zu befahren mit dem Ziel, die Grenzen zu<br />

sichern. Aber schon 1874 war es die Amazon<br />

Steam Navegation Compagny, die mit nordamerikanischem<br />

Kapital die Schifffahrtsrechte<br />

monopolisierte.<br />

Der Parkwächter flößt mir Hoffnung <strong>ein</strong>. Ich<br />

schließe aus dem zufälligen Gespräch, dass doch<br />

nicht alles verloren ist, besonders jetzt, da Manaus<br />

als <strong>ein</strong>e der Städte für die Fußballweltmeisterschaft<br />

2014 ausgewählt wurde. Später, schon auf<br />

der „Praça da Polícia“, oder offiziell „Praça<br />

Heliodoro Balbi“ genannt, strahlt <strong>ein</strong> kl<strong>ein</strong>er Park<br />

mit <strong>ein</strong>em filigranen Pavillon <strong>und</strong> romantischen<br />

Brücken in neuem Licht <strong>und</strong> es gibt gar <strong>ein</strong> kl<strong>ein</strong>es<br />

Museum gleich dahinter. „Manaus Belle Epoque“<br />

ist der Name des Projektes. Schließlich wird das<br />

berühmte Theater, so verloren inmitten <strong>ein</strong>er<br />

gesichtslos-hässlichen Stadt, <strong>ein</strong> paar Pendants auf<br />

dem selben Niveau erhalten. Klar, nur die<br />

Touristen mit ihrem nie versiegenden Durst nach<br />

Geschichte, können das ändern.<br />

Der zentrale Gemüse-, Früchte-, Fleisch- <strong>und</strong><br />

Fischmarkt, auch <strong>ein</strong> paar Souvenirecken gab es,<br />

<strong>ein</strong>e Gebäudegruppe aus verschiedenen filigranen<br />

Markthallen aus Eisen, aus England importiert,<br />

sehr hübsch, <strong>ein</strong> paar Straßen weiter vorne, ist<br />

endlich auch, nach langer Wartezeit, voller kräftig<br />

zupackender Arbeiter. Höchste Zeit, denn die<br />

Händler wurden schon länger vertrieben. Verteilen<br />

sich, obdachlos geworden, in den umliegenden<br />

Straßen, überall, unter freiem Himmel. Beim<br />

Umbau soll übrigens im Dachstock <strong>ein</strong>er der<br />

Markthallen <strong>ein</strong>e endlose, gut genährte<br />

Riesenschlange gef<strong>und</strong>en worden s<strong>ein</strong>. K<strong>ein</strong><br />

W<strong>und</strong>er, an Ratten mangelt es hier kaum. In <strong>ein</strong>er<br />

ansteigenden Gasse gibt´s gar aus von<br />

Gemüsekisten übrig gebliebenem Holz <strong>und</strong> Karton<br />

improvisierte Bretterverschläge mit Betten <strong>und</strong><br />

da! das Treppengeländer auf der anderen Seite ist<br />

zur Wäschel<strong>ein</strong>e geworden, kürzlich gewaschene<br />

Wäsche trocknet hier zwischen <strong>ein</strong>em Regenguss<br />

<strong>und</strong> dem nächsten.<br />

In der Zwischenzeit tun die nächsten Sintfluten<br />

weiter ihr Werk. Waschen <strong>und</strong> rosten die eisernen<br />

Gitterstäbe, deren pittoreskes Grünblau auch ganz<br />

<strong>ein</strong>fach Grünspan s<strong>ein</strong> könnte. Aber wer weiß –<br />

wählte man nur den Winkel richtig, wartete <strong>ein</strong><br />

gnädiges, weichzeichnendes Licht ab, könnte <strong>ein</strong>er<br />

der <strong>Foto</strong>grafen des Nacional Geografic, wahre<br />

Genies ihres Faches, vielleicht aus dem Markt <strong>ein</strong>e<br />

Art romantische Engländerin machen, delikat <strong>und</strong><br />

da in den Tropen <strong>ein</strong>fach vergessen. Oder halt,<br />

eher Dornröschen, das, wie unromantisch, von der<br />

Fußballweltmeisterschaft nun wohl endlich wach<br />

geküsst werden wird.<br />

<strong>Amazonien</strong>, <strong>ein</strong> <strong>Foto</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lesebuch</strong> - <strong>Susanne</strong> <strong>Gerber</strong>-<strong>Barata</strong> 684

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