Amazonien - ein Foto- und Lesebuch - Susanne Gerber-Barata

Vom Schönheitskult
Sie sind mit haarfeinem Pinsel extra-bunt bemalt.
Liebevoll einer hinter den anderen auf einen rosa
Musterkarton montiert, erinnern sie an die
ausgerissenen Flügel exotischer Schmetterlinge
sind aber nur künstliche Nägel, Fingernägel
natürlich. Bewundere den Karton hinter dem Glas
der Eingangstür. Er wirbt hier für neue
Kundinnen.
Bleibe auch vor dem nicht gerade unauffälligen
Plakat stehen, das all die Dienstleistungen
anbietet, denen man sich hier unterziehen kann.
Neben dem üblichen Waschen – Schneiden –
Legen – Tönen – Färben, Strähnchen inklusive, ist
auch das überaus populäre Strecken, eine
sozusagen umgekehrte Dauerwelle, die krauses
Haar auf chemischem Weg wupps in glatteste
Schnittlauchlocken verwandelt, zu haben. Wie
wär‘s mit Maniküre und Pediküre? Gar einem
Mondbad? Das bleicht alle ungewollten und nicht
depilierten Haare. Depiliert allerdings wird fast
alles. Das halbe und das ganze Bein, Damenbart,
Achseln und natürlich die Intimzone, mit
Schokolade, Wachs oder für immer.
Mein Salon ist lila. Lila auch der Stamm der Palme
vor dem Geschäft, allerdings nur bis auf
Brusthöhe. Lila sind die Eisenverstrebungen der
vollverglasten Fensterfront. Die Kundschaft kann
ungeniert hinter der Fensterfront betrachtet
werden: Maniküre, Pediküre, strähnig nasses
Haar, Haarwickler, Überwürfe, Trockenhauben,
Nägel im Wasserbad.
Muss es besonders schnell gehen, legen gleich drei
oder vier Fachleute ihre geschickten Händchen an
einen einzigen Kunden. Nur die obligaten
verschiedenen Haarentfernungsprozeduren, doch
etwas intimer, sind an diskretere Orte verbannt.
Lila die griechischen Säulen mit den falschen,
gipsernen Kapitellen, die den Eingang flankieren.
Lila auch das Firmenzeichen des Salons. Soviel Lila
ist wohl nur einem Schönheitssalon erlaubt.
Lilafarben auch die Eingangstür und die
synthetischen Uniformschürzen der ungezählten
jungen Mädchen. Sie verdienen sich hier
nagellakierend ihr Brot. Zwei, drei handverlesene
Mitarbeiter dürfen in weißem Hemd oder Bluse
und schwarzer, formeller Hose bedienen.
Der Besuch eines, seines Schönheitssalons ist hier
in Brasilien ein allwöchentliches Muss. Geht bei
den Berufstätigen die Mittagszeit, natürlich
freitags drauf, so opfern ganz Schönheitsbewusste
oft auch gleich den halben Samstagmorgen.
Verbringen ihn auf dem auf Monate hinaus
reservierten Stuhl: Nägel, wöchentlich erneuern,
monatlich Haareschneiden, bei besonderen
Gelegenheiten nur frisieren, in regelmäßigen
Abständen auch das rituelle Nachfärben des ach so
verräterischen grauen Haaransatzes. Ein einziges,
graues Haar ist imstande, eine Frau/einen Mann um
Jahre, Jahrzehnte, altern zu lassen! Je älter und
traditioneller die Kundschaft, desto höher die
Ansprüche, komplizierter die Vorlieben.
- Also meine Nägel vertraue ich nur der kleinen ....
an! Für die Füße hingegen, ja da kommt nur die .....
in Frage! Sie wissen schon! Nur sie weiß genau, wie
ich es haben will! -
Meinem lila Salon fehlt allerdings die in einfacheren
Stadtteilen omnipräsente Liste. Unendlich lang,
preist all die Dienste an, denen man sich im Salon
unterwerfen darf und kann. Schließe daraus, dass
diese hässliche Hauptgeschäftsstraße hier wohl als
ziemlich schick gilt.
Worüber allerdings keiner spricht, was keine zu
stören scheint – die meisten der Prozeduren tun
tierisch weh! Sich die Nagelhaut rund um den Nagel
herunter schneiden zu lassen – hier das Normalste
der Welt! Die Bikinizone oder noch intimeres mit
Wachs depilieren? Klaglos hingenommen, dass sich
die so misshandelte Haut auch mit den beruhigsten
Cremes nur nach Tagen beruhigt. Wahre Schönheit
muss erlitten werden, erkämpft, denn nur kommt
man in den Genuss der Gegenleistung. Erst nachher
kann man jenes Gefühl so richtig auskosten, sich so
unbeschreiblich sauber, leider für kurze Zeit nur, so
glatt und gut riechend wie ein frisch gewaschener
Kinderpopo zu fühlen. Der ganze Körper gepflegt
vom Scheitel bis zum glänzend künstlichen Nagel.
Amazonien, ein Foto- und Lesebuch - Susanne Gerber-Barata 815