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Amazonien - ein Foto- und Lesebuch - Susanne Gerber-Barata

Foto- und Lesebuch über den brasilianischen Amazonas

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es hier ganze „Quilombos“, Dorfgem<strong>ein</strong>schaften,<br />

in denen Nachkommen von geflüchteten Sklaven<br />

leben <strong>und</strong> irgendwo, weitab, mit primitiven<br />

Methoden <strong>und</strong> zu fast den selben Bedingungen<br />

wie vor h<strong>und</strong>ert Jahren, zurückgezogen,<br />

selbstversorgend <strong>ein</strong> Stück Land bearbeiten, um<br />

dessen Besitz sie vielleicht gerade kämpfen.<br />

Auch die gigantischen Sägen, kunstvoll<br />

geschmiedet, sie mussten von zwei gestandenen<br />

Männern bedient werden, sind heute aus den<br />

Ausstellungsräumen verschw<strong>und</strong>en. Sicher haben<br />

sie viel des begehrten Brasilholzes geschnitten.<br />

Auch die komplex gew<strong>und</strong>ene Zeichnung ist nicht<br />

mehr da. Magisch, es war <strong>ein</strong> Stammbaum!<br />

gezeichnet von <strong>ein</strong>em der Gründer des Museums.<br />

Einmal wurde ich ihm, vielleicht weil ich soviel<br />

fragte, – welche Ehre! –João Fona Laurimar Leal<br />

vorgestellt; <strong>ein</strong> dunkelhäutiger, alter Mann,<br />

Mulatte mit deutlich indigenen Zügen. Stolz<br />

erzählt er mir, dass er in Frankreich studiert habe.<br />

Er ist s<strong>ein</strong>er Herkunft nachgegangen <strong>und</strong> brachte<br />

s<strong>ein</strong>e Forschungen zu Papier. Auf der <strong>ein</strong>en Seite<br />

sind es marokkanische Juden, auf der anderen<br />

Sklaven aus Angola, die sich in <strong>ein</strong>em reich<br />

verzweigten Gebilde, historische Genauigkeit <strong>und</strong><br />

Fantasie verbündeten sich wohl im Prol der Sache,<br />

in Brasilien ankamen <strong>und</strong> Familie gründeten,<br />

Kinder <strong>und</strong> Kindeskinder zeugten. Die<br />

Nachkommen sind im Astwerk des Stammbaumes<br />

mit Vornamen aufgeführt. Woher wohl die<br />

indigenen Züge kommen, bleibt unerklärt.<br />

M<strong>ein</strong> Unglauben wird später, ich sehe im improvisierten<br />

Kirchenmuseum das Kirchenbuch, Lügen<br />

gestraft. Die aufgeschlagene Seite datiert vom Jahr<br />

1775. Die Schrift ist eigenartigerweise w<strong>und</strong>erbar<br />

leserlich: Der Besitzer, <strong>ein</strong> portugiesischer Name,<br />

hat am fünf<strong>und</strong>zwanzigsten Juni siebzehnh<strong>und</strong>ertfünf<strong>und</strong>siebzig<br />

die folgenden Sklaven verheiratet:<br />

Es folgt <strong>ein</strong>e lange, ausführliche Liste mit Namen.<br />

Bei vielen Sklaven ist hinter dem Namen in<br />

Klammern das Herkunftsland in Afrika aufgeführt.<br />

Auch hier bleibt m<strong>ein</strong>e Frage nach der indigenen<br />

Bevölkerung im Raum stehen.<br />

Der Führer dieses Museums, des „Museu de Arte<br />

Sacra“, ist noch geselliger. Erzählt, dass das Kruzifix<br />

der gleich daneben liegenden Kirche vom<br />

deutschen Naturwissenschaftler Karl Friedrich<br />

Philip von Martius gestiftet wurde. Eine<br />

Danksagung an die Nossa Senhora de Conceição,<br />

die Jungfrau mit dem schwarzen, offenen<br />

Wallehaar. Von Martius entkam, gleich hier vor<br />

Santarém, <strong>ein</strong>em schweren Unwetter <strong>und</strong><br />

Schiffsunglück. Kam nur weil es Gottes Wille war<br />

oder weil ihn die Jungfrau erhörte mit dem Leben<br />

davon, was er mit dem Kreuz vergalt.<br />

Der Führer macht mich auf <strong>ein</strong>e andere Kuriosität<br />

aufmerksam: Im Kirchenbuch steht unter vielen<br />

anderen Namen weiblicher Sklaven <strong>ein</strong>e<br />

„Branquinha”, <strong>ein</strong> „Schneeweißchen”. Was für<br />

Ironien <strong>und</strong> Schicksale sich dahinter verbergen!<br />

Das Buch ist von „Traças”, kl<strong>ein</strong>en papierfressenden<br />

Tierchen, durchlöchert, die Seiten<br />

ausgefranst. Ob es denn davon <strong>ein</strong>e Kopie gebe,<br />

oder <strong>ein</strong>en Mikrofilm, frage ich unschuldig. -<br />

„N<strong>ein</strong>, wo denken Sie denn hin!” - Der Führer ist<br />

entsetzt. – „Wenn wir das Buch <strong>ein</strong>mal weggeben,<br />

kommt es nie mehr hierher zurück! So<br />

viele andere Ausgrabungsstücke <strong>und</strong> anderes<br />

haben sie mitgenommen, verschleppt <strong>und</strong> nie<br />

mehr zurückgegeben!“ - Geld gäbe es ja. - „Aber<br />

der Pater hat gesagt, dass ich es nur persönlich<br />

zum Restaurieren bringen darf! Stellen Sie sich<br />

vor, die wollten doch, dass ich es per Post<br />

schicke. Also wirklich, nur wenn ich es persönlich<br />

überbringen kann.“ - da ist es wieder, dieses<br />

unausrottbare Misstrauen, auf das man hier im<br />

Amazonas immer wieder stößt.<br />

Und dabei war Santarém vor h<strong>und</strong>ert Jahren<br />

schon mal sozusagen international vernetzt.<br />

1867 kamen Konföderierte aus Nordamerika<br />

hierher, um hier <strong>ein</strong>e Kolonie zu gründen, sich<br />

die W<strong>und</strong>en des schauerlichen, verlorenen<br />

Krieges zu lecken. Und hier noch etwas länger<br />

von ihren Sklaven zu profitieren.<br />

1928 landeten hier Männer <strong>und</strong> Maschinen,<br />

ausgeschickt vom Autobauer Henry Ford, um im<br />

<strong>Amazonien</strong>, <strong>ein</strong> <strong>Foto</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lesebuch</strong> - <strong>Susanne</strong> <strong>Gerber</strong>-<strong>Barata</strong> 872

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