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Amazonien - ein Foto- und Lesebuch - Susanne Gerber-Barata

Foto- und Lesebuch über den brasilianischen Amazonas

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Die Bibliothek<br />

Vage nur die Erinnerung an das alte Haus. Es lag<br />

gleich um die Ecke des größten Shopping-Centers<br />

der Stadt. Das starke Türkis von den Regen<br />

ausgelaugt, verblichen, hätte es dringend <strong>ein</strong> paar<br />

Reperaturen gebraucht. Links <strong>ein</strong> Podest auf<br />

Straßenhöhe, der Käfer, postautogelb, nun schon<br />

mehr als zehn Jahre außer Verkehr.<br />

Ein seltsamer Bau, direkt über <strong>ein</strong>en Kanal<br />

gebaut. Man musste <strong>ein</strong> paar Stufen zum Haus<br />

hinuntersteigen, unterhalb das Niveau der Straße.<br />

Wie fast alle Häuser hier war es dunkel. Die<br />

weißen Fensterläden, der intensiv begangen <strong>und</strong><br />

befahrenen Straße zugewandt, blieben immer<br />

geschlossen. Es galt die Hitzen auszusperren. Das<br />

machte es feucht, was nur der überaus üppigen<br />

Tajá wirklich gefiel. In <strong>ein</strong>en enormen Topf direkt<br />

neben der Eingangstür gepflanzt, hob sich ihr<br />

dichtes Grün/Weiß w<strong>und</strong>erbar üppig vom Türkis<br />

der Hauswand <strong>und</strong> dem traditionellen Blutrot des<br />

Eingangs ab. Die Riesenblätter tiefgrün, das<br />

Blattinnere in unregelmäßigen Blattern dekorativ<br />

zwischen den weit verästelten weißen<br />

Blattnerven aufgeworfen. Der glatte Boden aus<br />

unregelmäßigen Kachelscherben, <strong>ein</strong> Stich<br />

Bohème, war <strong>ein</strong>gefasst mit <strong>ein</strong>em passenden<br />

Band schmalerer Kacheln. Zwei antike Korbstühle,<br />

<strong>ein</strong>er neben den anderen gestellt, luden zu <strong>ein</strong>em<br />

Schwatz mit Vorbeigehenden oder den Nachbarn<br />

<strong>ein</strong>. Letztere waren längst weggezogen, schon<br />

länger hatten die Straßenhändler sie abgelöst,<br />

angelockt als der Fortschritt Konsum hier um die<br />

Ecke Einzug hielt.<br />

Neben der Tür das Schild, leise vor sich hin alternd.<br />

Portugiesischunterricht . Hoch über der<br />

Eingangstür die billige Lithografie <strong>ein</strong>er Heiligen.<br />

Das Halbdunkel des Hauses durchdrungen vom<br />

Geruch nach Papier, nach Feuchtigkeit <strong>und</strong><br />

Schimmel, gut durchmischt mit Kollektionen gut<br />

genährter Schimmelpilze. Der Kanal, der unter<br />

dem Haus durchführte, machte sich besonders bei<br />

starken Wasserfällen bemerkbar. Dann brodelten<br />

<strong>und</strong> kochten die Wassermassen, rebellierten<br />

gegen ihre Gefangenschaft, suchten sich zu<br />

befreien. Schäumten schauerlich in den Toiletten,<br />

drückten das Wasser hoch, rumorten <strong>und</strong> ächzten<br />

im alten Geröhr. Gaben dem Haus <strong>ein</strong> tropisch<br />

unkontrollierbares Eigenleben.<br />

Portugiesisch, Sprachen überhaupt, waren s<strong>ein</strong>e<br />

Leidenschaft <strong>und</strong> Freude. Ein schmächtiger Mann,<br />

dürr, mit bräunlicher Haut, <strong>ein</strong> Caboclo. Jener<br />

Mischrasse, was er selber aber k<strong>ein</strong>em<br />

zugestanden hätte. Die hohen Backenknochen, die<br />

schmal-schlitzigen, dunklen Augen <strong>und</strong> die nur<br />

leicht krausen Haare, deren Schwarz k<strong>ein</strong> weißer<br />

Faden trübte, ließen k<strong>ein</strong>en Zweifel übrig. Von<br />

<strong>ein</strong>er guten Stelle in <strong>ein</strong>em Ministerium<br />

pensioniert, hatte er sich nie zum Heiraten<br />

durchgerungen. Lebte mit zweien s<strong>ein</strong>er<br />

Schwestern, beide so dünn wie religiös, auch sie<br />

unverheiratet. Eine ureigene, symbiotischen<br />

Welt, besonders seit sie, zum Hass <strong>und</strong> bösem<br />

Klatsch der ganzen restlichen Familie, die Tochter<br />

<strong>ein</strong>er ehemaligen Zugehefrau <strong>und</strong> inzwischen<br />

deren ganzer Clan adoptiert hatten. Die junge<br />

Frau war <strong>ein</strong>e wilde Mischung aus Ersatzkind,<br />

Pflegerin, Almosenempfängerin <strong>und</strong> Mädchen für<br />

alles. Beklagten sich alle drei abwechselnd <strong>und</strong><br />

immer hinter dem Rücken der anderen, über<br />

wechselnde Krankheiten <strong>und</strong> darüber, von der<br />

Familie vergessen worden zu s<strong>ein</strong>. Stöhnten über<br />

die Frechheiten, die sich die aufgehalste Familie<br />

herausnahm, um dann aber, gegen die Wand<br />

gestellt, sofort deren Partei zu ergreifen <strong>und</strong> alles<br />

abzustreiten.<br />

Die legendären hysterischen Krisen des Onkels, –<br />

die Nerven – wahre Delirien aus blinder Wut, mit<br />

denen er, starrköpfig wie er war, alles erreichte,<br />

was er wollte, durch die er s<strong>ein</strong>e kl<strong>ein</strong>e Welt<br />

all<strong>ein</strong> um sich kreisen ließ, allen s<strong>ein</strong>en Willen<br />

aufzwang, habe ich nie erlebt. Vielleicht hatte<br />

das Alter s<strong>ein</strong>e Kräfte, <strong>und</strong> die Wut gleich dazu,<br />

unterminiert <strong>und</strong> ausgehöhlt, so dass ihr heute<br />

die explosive Kraft von ehemals fehlte.<br />

Gab es Besuch, buhlte er, der Onkel, den Bart<br />

ungemacht, auf dem Hemd <strong>ein</strong> paar Tropfen des<br />

im Mixer zerkl<strong>ein</strong>erten Mittagessens, trotz des<br />

fortgeschrittenen Alters ohne große<br />

Ges<strong>und</strong>heitsprobleme, sah man vom allergischen<br />

<strong>Amazonien</strong>, <strong>ein</strong> <strong>Foto</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lesebuch</strong> - <strong>Susanne</strong> <strong>Gerber</strong>-<strong>Barata</strong> 408

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