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Amazonien - ein Foto- und Lesebuch - Susanne Gerber-Barata

Foto- und Lesebuch über den brasilianischen Amazonas

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Paternal<br />

Komme aus <strong>ein</strong>em der wohl demokratisten<br />

Länder der Welt. Schlucke puncto Demokratie<br />

hier in Brasilien manche Kröten herunter, wie<br />

man auf Portugiesisch zu sagen pflegt. Die<br />

brasilianische Demokratie ist noch sehr jung. Was<br />

besonders hier im Norden vorherrscht, ist<br />

autoritärer Paternalismus. Wer mehr Macht,<br />

Geld, Einfluss oder <strong>ein</strong>e bessere soziale Stellung<br />

hat, bestimmt, was gut für alle anderen ist. Da<br />

finden wenige etwas dabei. Oder nur wenn es<br />

nicht sie selber betrifft. Auch der Zusammenhalt<br />

<strong>und</strong> das Vertrauen zu Personen, die nicht zur<br />

Familie gehören, ist sehr fragil.<br />

Besonders brisant wird es, wenn es um kl<strong>ein</strong>e<br />

Alltäglichkeiten geht. Denn die große Politik kann<br />

man sowieso nur von ferne mitverfolgen <strong>und</strong> je<br />

nach Gutdünken lamentieren. Die wird nach wie<br />

vor diktatorisch <strong>und</strong> zentralistisch von ganz oben<br />

gemacht. Welche Farbe die Regierung auch haben<br />

mag, sie wird den Leidtragenden <strong>ein</strong>fach<br />

aufgezwungen. Als Gegenleistung kommt der<br />

gute alte Assistenzialismus zum Zug. Der tauscht,<br />

mehr oder weniger verschleiert, Unterstützung,<br />

Geld, Privilegien gegen Wählerstimmen. Die<br />

neoliberale Mär vom nachhaltigen, wirklichen<br />

Fortschritt, der Arbeitsplätze bringt, ist noch nicht<br />

bis hierher oder da oben durchgedrungen.<br />

Vor <strong>ein</strong>er Weile konnte ich hautnah am eigenen<br />

Leib miterleben, was man hier unter Demokratie<br />

versteht. Nach <strong>ein</strong> paar Raubüberfällen hier im<br />

Touristenort schlossen sich verschiedene<br />

Instanzen zusammen <strong>und</strong> protestierten lautstark<br />

in den sozialen Medien für mehr Polizeischutz.<br />

Zeitgleich erhöhte die lokale Busgesellschaft den<br />

Fahrpreis. Wie sich die zwei Vorkommnisse dann<br />

in <strong>ein</strong> <strong>ein</strong>ziges, wirres Knäuel verstrickten, entzieht<br />

sich m<strong>ein</strong>er Kenntnis. Denn die Ideen <strong>und</strong><br />

Ansichten der beteiligten Parteien sind unver<strong>ein</strong>bar,<br />

stehen sich wie zwei Pole gegenüber. Auf<br />

der <strong>ein</strong>en Seite die, die für mehr Sicherheit<br />

kämpfen. Es sind die Hotelbesitzer, Seite an Seite<br />

mit Universitätsprofessoren <strong>und</strong> Zweithausbesitzern.<br />

Eine sozial priviligierte Klasse, die sich<br />

nur im absoluten Notfall, in <strong>ein</strong>er absoluten<br />

Notlage zu <strong>ein</strong>er Fahrt mit dem unklimatisierten<br />

Bus antut. Wer mit dem Bus fährt, sind die<br />

Hausangestellten, die Schulkinder, die<br />

Minderbemittelten <strong>und</strong> die ausländischen<br />

Aussteiger, die hier <strong>ein</strong> privilegiertes<br />

Althippieleben leben.<br />

Wie auch immer, der anfangs friedliche<br />

Bürgerprotest gipfelte in <strong>ein</strong>er Straßensperre.<br />

Gesperrt wurde praktischerweise die <strong>ein</strong>zige<br />

direkte Zufahrtsstraße zu unserem Touristenort.<br />

Verfolge die höchst emotional geführten<br />

Diskussionen in den modernen Kommunikationsmitteln.<br />

Hotelbesitzer/innen, Universitätsprofessor/innen,<br />

Mittelständer sind alle<br />

unisono Feuer <strong>und</strong> Flamme für die Blockade.<br />

Jeder behilft sich auf s<strong>ein</strong>e Weise. Die<br />

Universitätsprofessoren/innen erlassen ihren<br />

Studenten die Vorlesung. Die Straße ist ja<br />

gesperrt. Die meisten der Übrigen fahren zwar,<br />

mit dem eigenen Auto natürlich, gar bis zur<br />

Blockade, denn die Busse wenden <strong>ein</strong>, zwei<br />

Kilometer vor der Barrikade, <strong>und</strong> holen da ihre<br />

Hausangestellten ab, die natürlich mit dem Bus<br />

kommen <strong>und</strong> die Blockade dann zu Fuß<br />

umgehen. Man kann ihnen aber nicht zumuten,<br />

die Kilometer bis zum Dorf zu Fuß zu gehen. Nur<br />

<strong>ein</strong> paar ganz überzeugte legen die weite Strecke<br />

wirklich zu Fuß zurück, <strong>ein</strong>ige gar mit Gepäck.<br />

Alle sprechen den da versammelten streikenden<br />

argentinischen Hippies ihre totale Unterstützung<br />

aus. Wer unbedingt in die Stadt muss, die Kinder<br />

müssen in die Privatschule, nimmt <strong>ein</strong>en riesigen<br />

Umweg in Kauf oder bezahlt <strong>ein</strong> Taxi, oder besser<br />

zwei, <strong>ein</strong>s bis zur Blockade, das andere hinter der<br />

Blockade. Die Angst, dass <strong>ein</strong> Bus angezündet<br />

werden könnte, ist zu groß. Die Straßensperre<br />

dauert. Im kl<strong>ein</strong>en Weiler gibt‘s bald k<strong>ein</strong> frisches<br />

Gemüse mehr. Die Straße bleibt zwei, drei Tage<br />

gesperrt <strong>und</strong> auch nachts campen die<br />

Streikenden <strong>und</strong> lassen k<strong>ein</strong>en durchs Nadelöhr.<br />

Die Wogen gehen hoch, schlagen höher. Immer<br />

neue, immer polemischere Nachrichten kommen<br />

übers Handy. Sie werden die Straße nur öffnen,<br />

wenn der Bürgermeister persönlich mit ihnen<br />

spreche. Und der ziert sich, weicht dem<br />

<strong>Amazonien</strong>, <strong>ein</strong> <strong>Foto</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lesebuch</strong> - <strong>Susanne</strong> <strong>Gerber</strong>-<strong>Barata</strong> 419

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