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Amazonien - ein Foto- und Lesebuch - Susanne Gerber-Barata

Foto- und Lesebuch über den brasilianischen Amazonas

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Von allerlei Krankheiten<br />

Der Anruf kam höchst unerwartet. Die Tochter<br />

<strong>ein</strong>er Bekannten war in Not, hier am<br />

amazonischen Ende der Welt! Sie war auf die<br />

spleenige Idee verfallen, den ganzen Riesenfluss<br />

Amazonas hoch bis zur peruanischen Grenze zu<br />

schippern, <strong>und</strong> das im normalen Linienboot! Eine<br />

Reise, die wohl grob geschätzt, um die 40 <strong>ein</strong>tönig<br />

vor sich hin plätschernde Tage dauert. Fast<br />

tauchte sie im emsig wimmelnden Ameisenhaufen,<br />

Passagiere aller Altersklassen, Fernseher<br />

<strong>und</strong> Motorräder, hochbegehrt, immer die<br />

neuesten Modelle, Tiere, andere Waren, unter.<br />

Knüpfte ihre Hängematte zwischen unzählige<br />

andere, gar zweistöckig, malerisch, farbig <strong>und</strong><br />

nicht gerade leise. Privatsphäre war ihr nicht so<br />

wichtig. Auch der lokale So<strong>und</strong>, von strategisch<br />

platzierten Lautsprecher ausgespien, nahm sie<br />

leicht hin. Schipperte, döste, ruhte sich aus,<br />

schlief <strong>ein</strong> bisschen, las noch <strong>ein</strong> Kapitel <strong>und</strong> ließ<br />

das Leben vorbeiziehen. Blendete das unablässige<br />

Geplauder, die unerwartete Kühle der Nacht aus.<br />

Überhörte das Schnarchen, die Seufzer oder die<br />

Albträume der Mitreisenden, schon seit Tagen an<br />

das Murren des Motors oder die pünktlich <strong>und</strong><br />

sintflutartig niederprasselnden Regenmassen<br />

gewöhnt.<br />

Nur das B<strong>ein</strong> ließ ihr k<strong>ein</strong>e Ruhe. Das rechte B<strong>ein</strong>,<br />

auch hoch gelagert, war unheimlich angeschwollen,<br />

monströs <strong>und</strong> beunruhigend. Es<br />

schwoll immer mehr an, jeder Tag <strong>ein</strong> bisschen<br />

mehr auf dem riesigen Strom, eher <strong>ein</strong><br />

Süßwassermeer, flussaufwärts. So sah sie sich<br />

gezwungen, das Schiff im nächsten Hafen zu<br />

verlassen.<br />

Sie wurde unverzüglich sogleich ins beste<br />

Krankenhaus des Ortes <strong>ein</strong>geliefert. Ihre Mutter in<br />

São Paulo hatte schon per Notruf um drei Ecken<br />

herum lokale Bekannte von Bekannten mobilisiert.<br />

Die besuchten sie umgehend am Krankenbett.<br />

Stellten mit ihren Nachfragen nochmals sicher,<br />

dass alle nötigen Vorkehrungen <strong>und</strong> Untersuchungen<br />

vorgenommen worden waren. Trotz all<br />

der Fürsorge kam von allen Seiten <strong>ein</strong> <strong>ein</strong>ziger Rat:<br />

Die allerbeste Medizin für das B<strong>ein</strong> sei der<br />

Flughafen, der nächste Flug nach São Paulo!<br />

Beileibe k<strong>ein</strong> schlechter lokaler Witz - mit<br />

tropischen Krankheiten spielt man nicht!<br />

Besonders Touristen sollten dem schlechten Witz<br />

mit dem nächsten Flugzeug deshalb, falls möglich,<br />

Folge leisten. Krankenhäuser im Norden des<br />

Landes haben, trotz oder vielleicht wegen des<br />

kostenlosen, öffentlichen Ges<strong>und</strong>heitssystems, das<br />

allen, ohne <strong>ein</strong>en Pfennig zu bezahlen,<br />

Behandlung <strong>und</strong> Versorgung im Krankheitsfall<br />

garantiert, k<strong>ein</strong>en guten Ruf. Nichts ist dem<br />

Heilungsprozess abdinglicher, als wenn man die<br />

Sprache nicht spricht, die lokalen Gewohnheiten<br />

nicht kennt <strong>und</strong> schon <strong>ein</strong> ungewohntes Essen<br />

unliebsame Folgen haben kann.<br />

Noch wichtiger ist Vorsorgen. Gegen Gelbfieber<br />

gibt es <strong>ein</strong>e Impfung, Malaria ist heute heilbar.<br />

Erschwerend kommt dazu, dass fiebrige<br />

Tropenkrankheiten nicht immer sofort <strong>und</strong><br />

<strong>ein</strong>deutig zu diagnostizieren sind. Die Symptome<br />

des Gelbfiebers, der Malaria <strong>und</strong> von Dengue<br />

sch<strong>ein</strong>en sich ziemlich zu gleichen, werden<br />

zudem im Anfangsstadium oft als <strong>ein</strong>fache<br />

Grippe abgetan.<br />

Viele berühmte <strong>und</strong> unendlich viele andere<br />

unbekannte Tropenreisende erfuhren das früher<br />

bitter am eigenen Leib. Als nämlich zu Beginn des<br />

19. Jahrh<strong>und</strong>erts in Europa <strong>ein</strong>e wahre Übersee-<br />

Euphorie ausbrach, die brasilianischen Grenzen<br />

wurden für befre<strong>und</strong>ete Länder geöffnet,<br />

schickte der bayrische König Maximilian I. 1817,<br />

zusammen mit anderen Gelehrten <strong>und</strong><br />

Naturforschern Johann Baptist Spix <strong>und</strong> Carl<br />

Friedrich Philipp von Martius, nach Brasilien,<br />

auch in den Amazonas. Sie befanden sich im<br />

Gefolge der Erzherzogin Leopoldina von<br />

Österreich - sie war dem späteren brasilianischen<br />

Kaiser Dom Pedro I, per Brief angeheiratet<br />

worden <strong>und</strong> reiste nun zu ihm in die Tropen.<br />

Dem Reisebericht von Spix <strong>und</strong> von Martius<br />

zufolge erkrankten die beiden in Maranhão<br />

schwer, wurden, in dauerndem Fieber <strong>und</strong><br />

Fantasien liegend, von Schwarzen in die nächste<br />

Stadt getragen. Wieder genesen, vertrauten sie<br />

<strong>Amazonien</strong>, <strong>ein</strong> <strong>Foto</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lesebuch</strong> - <strong>Susanne</strong> <strong>Gerber</strong>-<strong>Barata</strong> 438

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