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Amazonien - ein Foto- und Lesebuch - Susanne Gerber-Barata

Foto- und Lesebuch über den brasilianischen Amazonas

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aufgerichtet, schlug er <strong>ein</strong> knochiges Knie über<br />

das andere <strong>und</strong> nahm die Brille zur Hand. Klappte<br />

<strong>ein</strong> Brillenb<strong>ein</strong> sorgsam über das andere <strong>und</strong> legte<br />

sie sorgfältig vor sich auf den Tisch, bevor er zu<br />

<strong>ein</strong>em professoralen Monolog ansetzte. Da blieb<br />

sie aber nie länger als zwei Sätze liegen. Benutzte<br />

sie im ersten aufflackernden Feuer als<br />

Dirigentenstab, die sehnigen Hand ergriff sie,<br />

zusammengelegt, um s<strong>ein</strong>en Monolog zu<br />

verstärken, unterstrich da <strong>ein</strong> Wort, setzte da<br />

<strong>ein</strong>en Akzent. Sprach stolz <strong>und</strong> selbstsicher von<br />

s<strong>ein</strong>em Wörterbuch. Eine universelle Grammatik,<br />

die verschiedene Sprachen mit<strong>ein</strong>ander verglich,<br />

lebende <strong>und</strong> tote, an dem er gerade schrieb.<br />

Vom überladenen Beistelltischchen lud<br />

aufgedeckt die total veraltete Schreibmaschine<br />

zum Schreiben <strong>ein</strong>. Im geheimen aber hatte ihn,<br />

hochgebildeter Eremit, das vorgerückte Alter<br />

schon von allen weiterführenderen Ansprüchen<br />

befreit. Vielleicht hatte es gar nie wirklich in<br />

s<strong>ein</strong>em Interesse gelegen, anderen mitzuteilen,<br />

was er bei s<strong>ein</strong>en Recherchen herausgef<strong>und</strong>en<br />

hatte. Von ihm selber zwar immer vern<strong>ein</strong>t:<br />

Morgen schon werde er alles niederschreiben, die<br />

Veröffentlichung an die Hand nehmen, <strong>ein</strong>e<br />

Bestätigung für s<strong>ein</strong> Lebenswerk erhalten, jenes<br />

Wort nochmals nachsehen. An Ideen fehlte es<br />

nicht. Er litt aber an jener unentschiedenen<br />

Unternehmenslosigkeit, die <strong>ein</strong>em verführt, alles<br />

auf morgen zu schieben. K<strong>ein</strong> Chef, k<strong>ein</strong>e Familie<br />

oder Kollegen saßen voller Erwartung da, <strong>und</strong> so<br />

verschob er das Verschieben, verschob es auf<br />

später.<br />

S<strong>ein</strong>e trockene Hand voller heraus wuchernder<br />

Adern strich liebkosend immer wieder über s<strong>ein</strong><br />

Knie, wie wenn er <strong>ein</strong>er längst vergessenen<br />

Zärtlichkeit auf der Spur wäre. Die Geschichte vom<br />

unehelichen Sohn, den er gehabt haben wollte,<br />

glich eher <strong>ein</strong>em schlecht verhüllten, eher<br />

unwahrsch<strong>ein</strong>lichen Familienphantom.<br />

Geheimnisvoll irreal wie die Frauen, die er, die<br />

äußerst mysteriöse Aura verriet ihn, all<strong>ein</strong> zu dem<br />

Zweck erfand, die Aufmerksamkeit der Zuhörer<br />

un<strong>ein</strong>geschränkt an sich zu fesseln. Impertinent<br />

klatschten die Schwestern <strong>und</strong> die Fasttochter<br />

hinter s<strong>ein</strong>em Rücken. Schon sei wieder mehr als<br />

Dreiviertel der monatlich überwiesenen Pension<br />

<strong>ein</strong>fach verschw<strong>und</strong>en, direkt von s<strong>ein</strong>em Konto!<br />

K<strong>ein</strong>er konnte es sich erklären, weder dieses noch<br />

die anderen früheren Male, k<strong>ein</strong>er traf irgendwelche<br />

Maßregeln dagegen.<br />

Die ganze Familie weigerte sich, niemand wollte<br />

<strong>ein</strong>e der gefürchteten Nervenkrisen<br />

heraufbeschwören, in irgend<strong>ein</strong>er Weise darüber<br />

zu sprechen, das es mit Tod, Testament oder gar<br />

<strong>ein</strong>em letzten Willen oder Vermächtnis in<br />

Verbindung gebracht werden konnte. Das Thema<br />

berühren, hieß den Tod selber herbeizurufen.<br />

Starrköpfigkeit, die es vereitelte, <strong>ein</strong>e Schenkung<br />

der Bibliothek <strong>und</strong> ihres ganzen Inhaltes zu<br />

Lebzeiten vorzubereiten. Morgen schon<br />

wünschte er, süße Illusion, kl<strong>ein</strong>e Selbstbetrügerei,<br />

genau jenes Buch zu konsultieren,<br />

welches ja dann nicht mehr gleich zur Hand<br />

wäre. Schon seit sehr langer Zeit hatte er k<strong>ein</strong>s<br />

davon mehr angerührt, lebte vollständig<br />

zurückgezogen in s<strong>ein</strong>e kl<strong>ein</strong>e Privatwelt, in der<br />

er ganz <strong>ein</strong>fach nichts verändert haben wollte.<br />

Nach s<strong>ein</strong>em plötzlichen, schmerzlosen Tod<br />

begann die Bibliothek, s<strong>ein</strong> Nachlass, <strong>ein</strong>e<br />

komplizierte <strong>und</strong> fast nicht enden wollende<br />

Reise.<br />

Eines Umzugs wegen, das Haus unter dubiosen<br />

Umständen verkauft, wurde sie ohne viel<br />

Umstände <strong>und</strong> Sorgfalt in Kartonschachteln<br />

verpackt <strong>und</strong> ausgelagert, dem Schimmel<br />

ausgeliefert, den „Traças“ <strong>und</strong> anderen kl<strong>ein</strong>en<br />

papierfressenden Tierchen, <strong>und</strong> der immer<br />

präsenten Feuchtigkeit - fehlte nur, dass die<br />

immer heftiger brodelnden Wasser sie<br />

davongetragen hätten. Lernte auf ihrer Odysee<br />

die unterschiedlichsten Aufbewahrungsplätze,<br />

<strong>ein</strong>er prekärer als der andere, kennen, wo sie,<br />

Maximum der Aufmerksamkeit, auf Druck <strong>ein</strong>es<br />

der Neffen hin <strong>und</strong> wieder mit Insektizid<br />

besprayt wurde. Die nicht wenigen Versuche, sie<br />

<strong>ein</strong>er öffentlichen Institution zu schenken,<br />

verliefen im Sande, besser in den<br />

unergründlichen Tiefen lokalen Bürokratie. Mal<br />

<strong>Amazonien</strong>, <strong>ein</strong> <strong>Foto</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lesebuch</strong> - <strong>Susanne</strong> <strong>Gerber</strong>-<strong>Barata</strong> 410

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