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Amazonien - ein Foto- und Lesebuch - Susanne Gerber-Barata

Foto- und Lesebuch über den brasilianischen Amazonas

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lauschten <strong>ein</strong>e Weile dem Singsang der Kröten.<br />

Die singen nur, wenn es regnet. Später hörte ich<br />

zum ersten Mal – das erste von vielen tausenden<br />

von Malen – die schauerlichen Geschichten des<br />

Regenwaldes. Unheimliche, verrückte<br />

Geschichten, wenn man da so mitten im Urwald<br />

liegt, läuft es <strong>ein</strong>em schon kalt den Rücken runter.<br />

Zuerst erzählen sie immer von den „Onças“, den<br />

Jaguaren. Das war alles so plastisch, dass ich<br />

schon bald m<strong>ein</strong>te, ihr Brüllen zu hören. Später<br />

haben wir ihre Fußspuren gef<strong>und</strong>en <strong>und</strong> Kratzer,<br />

ganz schön hoch, so in Brusthöhe. In den Rinden<br />

der Bäume, wo sie ihre scharfen Krallen wetzen.<br />

Dann erzählten sie mir von Curupira. Das ist <strong>ein</strong><br />

kl<strong>ein</strong>er, aber sehr cleverer Indiojunge! S<strong>ein</strong><br />

größtes Vergnügen ist es, Leute, die im Wald<br />

unterwegs sind, in die Irre zu führen. Versuch ja<br />

nie, ihm zu folgen! Er täuscht alle. Denn s<strong>ein</strong>e<br />

Füße sind ihm nach hinten gewachsen. Er geht<br />

sozusagen umgekehrt. Merkst du, dass er dich<br />

verfolgt, so gibt es nur <strong>ein</strong> Mittel, um ihn<br />

abzuhalten. Wirf <strong>ein</strong> kompliziertes Geflecht aus<br />

verschlungenen Fäden hinter dich auf den Weg.<br />

Diesem Köder kann er nicht widerstehen! Sofort<br />

wird er versuchen, das komplizierte Geflecht zu<br />

entwirren <strong>und</strong> vergisst darüber – Gott sei Dank -<br />

dir zu folgen.“ -<br />

- „Am anderen Tag lernte ich den Regenwald von<br />

innen kennen. Ich machte Bekanntschaft mit dem<br />

„Jirico”. Das ist <strong>ein</strong> kl<strong>ein</strong>er Traktor, der für Fahrten<br />

im Dschungel umgebaut ist. Schmal, vorne <strong>und</strong><br />

hinten mit je <strong>ein</strong>er improvisierten Plattform, ist er<br />

für den Transport von Holz, aber auch von<br />

Personen gebaut. Maximal haben sechs Personen<br />

Platz. Man muss sich ganz schön festhalten, denn<br />

er benimmt sich wie <strong>ein</strong> störrischer Esel! Und<br />

man muss immer auf der Hut s<strong>ein</strong>. Muss s<strong>ein</strong>e<br />

B<strong>ein</strong>e immer wieder blitzschnell hochheben, sonst<br />

läuft man Gefahr, dass sie unter den Traktor<br />

kommen.<br />

Er fährt immer denselben Weg entlang,<br />

der mehr oder weniger 1 bis 1,5 Meter breit ist. Es<br />

gibt große Steigungen <strong>und</strong> entsprechendes<br />

Gefälle, dazwischen riesige Löcher. Das geht in den<br />

Rücken, so <strong>ein</strong>e Reise! Zusammen mit der<br />

ganzen Equipe sind wir mehr als fünf St<strong>und</strong>en<br />

durch den Wald gefahren. Die Arbeiter,<br />

angeheuert für drei Monate ohne Pause, machten<br />

Witze, lachten, neckten sich ohne Unterbruch. Sie<br />

verbringen die drei Monate in <strong>und</strong> neben der<br />

Fabrik. Ihr Tagesablauf ist sehr hart <strong>und</strong> wird<br />

eigentlich nur von den Mahlzeiten unterbrochen.<br />

Zum Frühstück gibt’s Crackers, Couscous, <strong>ein</strong><br />

luftiges Gericht aus Mais, <strong>und</strong> Kaffee. Zu den<br />

anderen Mahlzeiten immer Reis <strong>und</strong> Bohnen mit<br />

„Jabá”, <strong>ein</strong>gesalzenem Fleisch, Nudel <strong>und</strong><br />

Farinha, <strong>ein</strong>e Art knuspriges Mehl aus Maniok.<br />

Abends schauen sich alle, das verpasst k<strong>ein</strong>er, im<br />

Fernsehen die tägliche Folge der Novela an.<br />

Alkohol ist strikt verboten. Die Arbeiter sind alle<br />

in sehr guter körperlicher Verfassung. Der<br />

Älteste, er war 71, nahm <strong>ein</strong>mal <strong>ein</strong>en Besenstiel<br />

zwischen den Händen <strong>und</strong> sprang darüber, ohne<br />

außer Atem zu kommen, hin <strong>und</strong> zurück, hin <strong>und</strong><br />

zurück. Fast alle sind Analphabeten. Viele können<br />

<strong>ein</strong> paar Zahlen lesen, bis zehn vielleicht, aber<br />

was mehr als fünfzehn ist, verwirrt sie. Aber das<br />

kümmert k<strong>ein</strong>en. Es ist nicht wichtig für sie. Sie<br />

haben k<strong>ein</strong>e Ambitionen im Leben. Aber sie<br />

leiden auch k<strong>ein</strong>en Hunger <strong>und</strong> können vom<br />

dem, was sie haben, gut leben. In den Städten<br />

sind die Menschen aber allerdings oft sehr<br />

ausgemergelt, haben oder hatten schon mehrere<br />

Malariaanfälle, rauchen <strong>und</strong> trinken viel. Manuel<br />

Lulu, <strong>ein</strong>er von ihnen, sagte mir <strong>ein</strong>mal: „Ich kann<br />

alles! Motorsägen, jagen, fischen, alles. Nur<br />

Lektüre, das heißt lesen, kann ich nicht.“ -<br />

Sie arbeiten in drei oder vier Equipen. Die erste<br />

Equipe, drei oder vier Männer, wenn es fast k<strong>ein</strong><br />

Holz mehr gibt auch fünf oder sieben, suchen<br />

den Wald ab. Ihre Arbeit ist illegal. Aber wenn<br />

man an die enormen Distanzen denkt, merkt<br />

man, wie illusorisch der Ruf nach Kontrolle ist.<br />

Ich habe nie herausgef<strong>und</strong>en, wie sie sich im<br />

Wald zurechtfinden. Sie gehen auf <strong>ein</strong>em Weg<br />

r<strong>ein</strong> <strong>und</strong> auf <strong>ein</strong>em anderen raus. Sie verlaufen<br />

sich nie! Das Laufen im Wald ist sehr angenehm.<br />

Man geht im Schatten der Baumwipfel, da ist es<br />

frisch, es gibt nicht viele Moskitos, nur die<br />

<strong>Amazonien</strong>, <strong>ein</strong> <strong>Foto</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lesebuch</strong> - <strong>Susanne</strong> <strong>Gerber</strong>-<strong>Barata</strong> 118

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