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Amazonien - ein Foto- und Lesebuch - Susanne Gerber-Barata

Foto- und Lesebuch über den brasilianischen Amazonas

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Negiertes Erbe<br />

Sie erzählen, dass wenn <strong>ein</strong> Indiobaby zur Welt<br />

komme, s<strong>ein</strong>e Nabelschnur mit <strong>ein</strong>em gut<br />

geschärften Stück Bambus durchtrennt werde.<br />

Die Nabelschnur vergrabe man anschließend<br />

hinter dem höchsten Baum des Waldes, was<br />

erkläre, wie stark <strong>und</strong> unlösbar der Indio mit der<br />

Natur verb<strong>und</strong>en sei. Eine griffig-schönes, sicher<br />

wahres Bild, wenn auch ziemlich romantisch <strong>und</strong><br />

romantisiert, die perfekte Gegenwelt/Gegenthese<br />

zur ach so verdorbenen, schauerlichen Zivilisation,<br />

der wir angehören. Zweifellos, nur <strong>ein</strong> Indio<br />

bewegt sich so frei im ursprünglichen,<br />

unheimlichen amazonischen Dschungel, kennt alle<br />

Pflanzen <strong>und</strong> Tiere, manchmal gar besser als die<br />

Wissenschaftler. Nur die Indios leben mit der<br />

Natur in <strong>ein</strong>em gottgeschaffenen Gleichgewicht.<br />

Eine griffig-schönes, sicher wahres Bild, wenn<br />

auch ziemlich romantisch <strong>und</strong> romantisiert.<br />

Die sozusagen reale amazonische Realität<br />

relativiert es deutlich, ist nackter, brutaler,<br />

erbarmungsloser. Die Indios unterstehen <strong>ein</strong>em<br />

Sondergesetz <strong>und</strong> haben <strong>ein</strong>en staatlichen<br />

Beschützer/Tutor, die Funai. Wird heute <strong>ein</strong> noch<br />

unbekannter Stamm Indigener lokalisiert, man<br />

basiert dabei auf von Menschen im Dschungel<br />

hinterlassenen Spuren, mündlichen Erzählungen<br />

nachbarlicher Stämme <strong>und</strong> Luftaufnahmen, die<br />

von Menschenhand geschlagene Lichtungen<br />

zeigen, beschränkt man sich heute darauf, den<br />

Aufenthaltsort des Stammes festzustellen. Es soll<br />

mindestens 46 bis heute zwar „bekannter“, aber<br />

sogenannt „isoliert lebender“ Stämme geben. Man<br />

setzt voraus, dass diese Stämme bis heute k<strong>ein</strong>en<br />

Kontakt mit der „weißen Welt“ aufnehmen<br />

wollten <strong>und</strong> so wird k<strong>ein</strong> direkter Kontakt<br />

hergestellt, <strong>und</strong> es kann <strong>und</strong> darf ihnen niemand<br />

die „W<strong>und</strong>er der Zivilisation“ bringen. Einmal<br />

geografisch lokalisiert soll es besser möglich s<strong>ein</strong>,<br />

sie effizient vor eben dieser Welt, die der<br />

Missionare, Goldgräber, Abenteurer, Wilderer <strong>und</strong><br />

Drogenschmuggler, zu schützen. Wünschten sie<br />

selbst Kontakt, werden sie von der Funai, der<br />

Indianerbehörde, abgeschirmt. Die Funai erlaubt<br />

nur sehr sporadischen <strong>und</strong> sehr kontrollierten<br />

Besuch von „Indigenistas“, Anthropologen, die ihre<br />

Sprache <strong>und</strong> Lebensweise studieren oder von<br />

Ärzteteams, die <strong>ein</strong>e rudimentäre Ges<strong>und</strong>heitsversorgung<br />

gewährleisten.<br />

All das spiegelt die aktuelle, hart erkämpft Politik<br />

der indigenen Bevölkerung gegenüber.<br />

Auch in ihre zum Teil auch sehr grausamen Regeln<br />

<strong>und</strong> Riten, ihre Traditionen wird nicht <strong>ein</strong>gegriffen.<br />

Bei manchen Stämmen werden neugeborene<br />

Zwillinge der Natur zurückgegeben <strong>und</strong> auch<br />

behinderte Kinder werden nach der Geburt sofort<br />

getötet. Sie wären nicht überlebensfähig. Somit ist<br />

es alles andere als <strong>ein</strong>fach, <strong>ein</strong> Indiodorf, <strong>ein</strong>e<br />

„Aldeia“, zu besuchen. Nichts darf mitgebracht<br />

<strong>und</strong> nichts mitgenommen werden. Das Einzige, das<br />

sie aus „unserer Welt“ erhalten, ist <strong>ein</strong> Messer pro<br />

Person. Mit oder ohne Bewilligung der Funai -<br />

nicht jeder verfügt über die Mittel oder die<br />

körperlichen Voraussetzungen, <strong>ein</strong> Privatflugzeug<br />

zu chartern <strong>und</strong> dann noch tagelange<br />

Fußmärsche durch den Dschungel auf sich zu<br />

nehmen. Und so dominieren leider noch immer<br />

die sensationslüsternen Dokumentarfilme, voller<br />

Abenteuerromantik <strong>und</strong> Exotismus, die sich auf<br />

<strong>ein</strong>zelne, medienwirksame Rituale <strong>und</strong> fotogene<br />

Tänze der Indios konzentrieren. Auch <strong>ein</strong>zelne<br />

Stämme wie die Xingus werden so zu wirklichen<br />

Medienlieblingen. Aber auch die NOGs oder gar<br />

die missionarischen Kirchen sind sich oft nicht<br />

darüber <strong>ein</strong>ig, was nun das Beste für „ihre<br />

Indios“ sei.<br />

Wird die heile Welt der indigenen Bevölkerung<br />

als Antithese zu unserer, sich selbst<br />

zerstörenden Zivilisation gehandelt, fallen<br />

akkulturierte Indigene sozusagen zwischen Stuhl<br />

<strong>und</strong> Bank. Sie haben freiwillig oder gezwungenermaßen<br />

ihre Kultur verloren <strong>und</strong><br />

widersprechen somit dem idealisierten Bild <strong>ein</strong>es<br />

freien Indios. Werden dann sehr schnell <strong>und</strong><br />

pauschal zusammen mit Goldgräbern,<br />

Holzhändlern <strong>und</strong> anderen Regenwaldzerstören<br />

in denselben Topf geworfen.<br />

Verblüffend, wie sich die Geschichte wiederholt,<br />

auch wenn die nötigen Korrekturen gerade<br />

vorgenommen werden. In den ersten, heute<br />

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