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Amazonien - ein Foto- und Lesebuch - Susanne Gerber-Barata

Foto- und Lesebuch über den brasilianischen Amazonas

Foto- und Lesebuch über den brasilianischen Amazonas

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Die Mutter der Wasser<br />

Wer hier zuhören will, bekommt die<br />

unvorstellbarsten Geschichten vorgesetzt. So ganz<br />

anders als der Sehnsuchtsort Amazonas, ist das<br />

Hinterland des Amazonas nicht viel mehr als <strong>ein</strong>e<br />

<strong>ein</strong>zige, riesige Favela, <strong>ein</strong>e Art riesiges<br />

Armenhaus, <strong>ein</strong>e letzte Grenze, irgendwo von der<br />

Weltgeschichte vergessen, aber der Humor, die<br />

Menschlichkeit <strong>und</strong> die Schlitzohrigkeit der Leute<br />

kompensieren!<br />

Glauben, Aberglauben, Überlieferungen der<br />

Indios <strong>und</strong> der katholische <strong>und</strong> heute oft auch die<br />

evangelikalische Doktrin bestehen hier im<br />

Amazonas <strong>ein</strong>trächtig neben<strong>ein</strong>ander, je<br />

intensiver, desto weiter weg man von der<br />

„Zivilisation“ der Städte kommt. Dass der Glaube<br />

hier vielleicht k<strong>ein</strong>e Berge, aber <strong>ein</strong> Haus versetzt,<br />

geht so:<br />

Die weit ausgedehnten Ländereien, irgendwo im<br />

Nirgendwo hatte er nur überflogen, bevor er den<br />

Kaufvertrag unterschrieb <strong>und</strong> das Geld überwies.<br />

Nun wollte er wissen, ob er, wie man auf<br />

Portugiesisch sagt, statt <strong>ein</strong>es Kaninchens,<br />

versteckt vom Sack, wohl <strong>ein</strong>e Katze angedreht<br />

bekommen hatte. Heuerte sich Männer an, die<br />

k<strong>ein</strong>e Angst vor dem Dschungel hatten <strong>und</strong> vor<br />

allem sich darin auch zurechtfanden, <strong>und</strong> machte<br />

sich, zusammen mit ihnen auf. Ein schwerer<br />

Rucksack blieb übrig. K<strong>ein</strong>er wollte ihn buckeln,<br />

aber ausgerechnet der musste mit. Es war <strong>ein</strong>e<br />

Heiligenstatue, die er, wenn s<strong>ein</strong>e Mission<br />

beendet war, da, mitten im Dschungel aufstellen<br />

wollte, dann wenn es ihm wirklich gelungen war,<br />

s<strong>ein</strong>en Besitz in Besitz zu nehmen. Würde der<br />

Heiligen gar <strong>ein</strong>e kl<strong>ein</strong>e Kapelle bauen lassen, als<br />

Dank, Einlösen <strong>ein</strong>es Gelübdes, das er in ihrem<br />

Namen abgelegt hatte.<br />

Das Eindringen erwies sich als gar nicht so<br />

schwierig. Die brasilianische Erdölcompagnie hatte<br />

in diesem Teil schon nach Erdöl gebohrt, war aber<br />

nicht fündig geworden. So <strong>ein</strong>e Suche hinterlässt<br />

alle paar Kilometer <strong>ein</strong>e Art Schneise, die zwar<br />

wieder zuwächst, aber doch <strong>ein</strong>facher wieder zu<br />

öffnen ist, als wirklicher Ur-Wald. Unter Strapazen<br />

gelang es der kl<strong>ein</strong>en Kolonne bis zum<br />

bezeichneten Gr<strong>und</strong>stück vorzudringen. Einmal<br />

angekommen, mussten sie feststellen, dass sie<br />

nicht die Ersten waren, die dieselbe Idee hatten.<br />

Der Jungfrau oder der Beredsamkeit des aktuellen<br />

Besitzers gelang es aber, die Leute, Caboclos <strong>und</strong><br />

arme Hungerleider, von der Rechtsgültigkeit<br />

s<strong>ein</strong>es Besitzes zu überzeugen, <strong>und</strong> sie,<br />

w<strong>und</strong>ersamerweise ohne ernste Gegenwehr oder<br />

gar <strong>ein</strong>em blutig ausgetragenen Streit, zu<br />

vertreiben. Und so kam die Jungfrau, oben, etwas<br />

vom Ufer des Flusses zurückversetzt, ihre Kapelle<br />

<strong>und</strong> die Statue ihren definitiven Platz.<br />

Wie es nun aber der Brauch will, <strong>ein</strong>mal in Besitz<br />

genommen, galt es nun anderen Übergriffen <strong>und</strong><br />

wilden Invasionen vorzubeugen. Es musste also<br />

<strong>ein</strong> währschafter, standfester Caboclo her, der<br />

hier ständig wohnen würde. Bald schon hatte die<br />

kl<strong>ein</strong>e Mannschaft <strong>ein</strong> Palmblätter gedecktes<br />

Haus hingestellt, <strong>und</strong> auch der Caboclo,<br />

zusammen mit Frau <strong>und</strong> Kind war schon<br />

gef<strong>und</strong>en. Nur schien ihn irgendetwas zu<br />

bedrücken. Irgendwie sollte der Deal nicht zu<br />

Stande kommen. Endlich konnte ihn <strong>ein</strong>er<br />

überreden, mit dem Gr<strong>und</strong> heraus zu rücken. Es<br />

war das Haus. Es stand viel zu nahe am Fluss.<br />

Und er hatte vor nichts mehr Respekt, als vor der<br />

„Mãe d‘ água“, der Mutter der Wasser. Die<br />

wohnt, wissen Sie das nicht? In allen Gewässern.<br />

Sie würde ihm <strong>und</strong> s<strong>ein</strong>er Familie das Leben zur<br />

Hölle machen, besonders wenn er zu nah am<br />

Fluss wohnen <strong>und</strong> schlafen würde.<br />

Der arme Mann hatte aber nicht mir der guten<br />

Gottesmutter gerechnet <strong>und</strong> der<br />

Überzeugungskraft s<strong>ein</strong>es Patrãos. Diesem<br />

gelang es, ihn davon zu überzeugen, dass er Mãe<br />

d‘água hin oder her, Aberglauben oder nicht, vor<br />

letzterer sicher sei, wenn er der Jungfrau jede<br />

Nacht <strong>ein</strong>e Kerze anzünde. Die lasse er dann die<br />

ganze Nacht brennen <strong>und</strong> sei so vor allen Übeln<br />

geschützt.<br />

Gesagt, getan, geglaubt. Es funktionierte <strong>ein</strong> paar<br />

Monate lang perfekt. Aber <strong>ein</strong>es schönen Tages<br />

allerdings kam <strong>ein</strong> aufgelöster Caboclo in die<br />

<strong>Amazonien</strong>, <strong>ein</strong> <strong>Foto</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lesebuch</strong> - <strong>Susanne</strong> <strong>Gerber</strong>-<strong>Barata</strong> 380

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