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Amazonien - ein Foto- und Lesebuch - Susanne Gerber-Barata

Foto- und Lesebuch über den brasilianischen Amazonas

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Karneval an der Baía do Sol<br />

Von Weitem schon machen sich die<br />

karnevalesken Schreie bemerkbar. Alle springen<br />

herbei, k<strong>ein</strong>er will auch nur das kl<strong>ein</strong>ste Detail<br />

verpassen. Im Handumdrehen stauen sich die<br />

Sommergäste auf dem prekären Sträßchen, es<br />

windet sich <strong>ein</strong>er der vielen Buchten der Insel<br />

Mosqueiro entlang, die Belém vorgelagert ist. Nur<br />

am Strand <strong>und</strong> weit vom Alltag kann <strong>ein</strong>e solch<br />

lockere <strong>und</strong> unkomplizierte Atmosphäre<br />

aufkommen. Schon biegt <strong>ein</strong> „Trio Elétrico“,<br />

(großer Laster, auf dem <strong>ein</strong>e Musikband die<br />

Zuschauer animiert), <strong>ein</strong> umfunktionierter uralter<br />

VW-Kombi, um die Ecke. Er droht jeden Moment,<br />

in s<strong>ein</strong>e Einzelteile aus<strong>ein</strong>ander zu brechen. Dabei<br />

käme wohl die improvisierte Dekoration zu<br />

Schaden. Sie macht sich in schreiendem Gelb über<br />

<strong>ein</strong>e äußerst populäre Landekette lustig. Die ist<br />

dafür bekannt, dass sie sich ihre Waren in<br />

winzigen, aber dafür endlos abstotterbaren Raten<br />

bezahlen lässt. So kann sich auch <strong>ein</strong> fast nicht<br />

Begüterter das neueste Handy oder <strong>ein</strong>en<br />

Küchentisch kaufen. Dass man die letzte Rate<br />

schon beim Kauf aus den Augen verloren hat <strong>und</strong><br />

das Handy wohl zweimal bezahlt, rechnet k<strong>ein</strong>er<br />

nach. Die Qualität der Musik lässt mehr als zu<br />

wünschen übrig. Das stört k<strong>ein</strong>en <strong>und</strong> wird durch<br />

die ohrenbetäubende Lautstärke wieder gut<br />

gemacht.<br />

Die Narren, die den „Trio Elétrico“ „ziehen“ oder<br />

wohl besser von ihm gestoßen werden, sind unter<br />

sich. Nur Männer gleichen sie die fehlende<br />

Inspiration beim Kostüm oder anderen<br />

Verkleidungen durch die unterschiedlichsten<br />

Stadien des Angeheitert-S<strong>ein</strong>s aus. Sie sind<br />

unisono, wie inspiriert, als Frauen verkleidet! Die<br />

eher strammen B<strong>ein</strong>e sind alle schon etwas<br />

wacklig, was wohl nicht nur den ungewohnten<br />

Schuhen <strong>und</strong> dem st<strong>ein</strong>igen Weg zuzuschreiben<br />

ist. Nur die äußerst animierte „Nega fulô“ tanzt<br />

aus der Reihe. Sie hat der glänzenden Schwärze<br />

mit Schuhcreme nachgeholfen <strong>und</strong> trägt zum<br />

trägerlosen Oberteil aus grell farbiger „Chita“<br />

(buntbedruckter, brasilianischer Baumwollstoff)<br />

<strong>ein</strong>en frech verwegenen Hut mit dem selben<br />

Blumenmuster. Sie tanzt außer Rand <strong>und</strong> Band.<br />

Unter der schlecht aufgetragenen Schicht<br />

schwarzer Schminke verraten stramme Schenkel<br />

<strong>und</strong> <strong>ein</strong>e abgeflachte Nase das Indioblut des<br />

lokalen Caboclos. Die zusammengelaufene<br />

Menschenmasse begleitet, ganz wie es beim<br />

Karneval Brauch ist, den „Trio Elétrico“ <strong>ein</strong> Stück<br />

weit. Die Zuschauer werden, fröhlich vor sich hin<br />

schwitzend, mit heißen Küssen bedacht. Maskuline<br />

Lippenpaare, von ungelenken Händen schrill mit<br />

grellem Lippenstift nachgezeichnet verteilen sie<br />

vorurteilslos. Doch bald gibt man sich von der<br />

Hitze besiegt <strong>und</strong> zieht sich, immer noch leise<br />

kreischend <strong>und</strong> kiecksend, jede wieder in s<strong>ein</strong><br />

Haus zurück.<br />

Gleich setzt auch der nächste Regen <strong>ein</strong>. Er setzt<br />

s<strong>ein</strong> hinterlistiges Zerstörungswerk fort, leckt da<br />

an der Schuhcreme, wäscht hier <strong>ein</strong> wenig<br />

Schweiß von mehr oder weniger muskulösen<br />

Oberkörpern, den selben, die die ganze Zeit<br />

drohen, ihre Winzkostüme, Bikinioberteile nur,<br />

zu zersprengen.<br />

All das an <strong>ein</strong>er der vielen Buchten, an der Baía<br />

do Sol, die seit Urzeiten von den schlammigen<br />

Wassern des Amazonas gebadet wird. Überreste<br />

<strong>ein</strong>es, wie sie erzählen, glanzvollsten Karnevals<br />

Brasiliens, <strong>ein</strong> gesellschaftlicher Höhepunkt,<br />

lange im Voraus geplant, organisiert <strong>und</strong><br />

zelebriert. Die Bälle fanden in den schicken<br />

Clubs, in der ganzen Stadt verteilt, statt. Die<br />

meisten verkleideten sich als Pierrot, Kolumbine<br />

oder Harlequim, aber es gab auch Bahaianas,<br />

Türken oder gar <strong>ein</strong>en Tiroler. Das Stadtzentrum<br />

war für den „Corso“, den Umzug karnevalesk<br />

geschmückt: Masken, <strong>ein</strong>ige lustig, <strong>ein</strong> schrilles<br />

Lachen hier, andere traurig, <strong>ein</strong>e zerdrückte<br />

Träne da <strong>und</strong> viele buntfarbene Lichter. Auf der<br />

Straße war alles erlaubt, alles möglich. Es gab<br />

Umzüge mit Konfetti- <strong>und</strong> Luftschlangenschlachten<br />

<strong>und</strong> viele benutzten „Lança perfume“ (Ein<br />

Spray, der die Mischung aus chemischen<br />

Lösungsmitteln <strong>und</strong> Parfüm in <strong>ein</strong>en eisigen<br />

Strahl verwandelt, heute verboten, da als Droge<br />

missbraucht), oder Schlimmeres, um das andere<br />

Geschlecht auf sich aufmerksam zu machen.<br />

<strong>Amazonien</strong>, <strong>ein</strong> <strong>Foto</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lesebuch</strong> - <strong>Susanne</strong> <strong>Gerber</strong>-<strong>Barata</strong> 978

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