Amazonien - ein Foto- und Lesebuch - Susanne Gerber-Barata

Der frischeste Fische der Welt!
Fischmärkte sind gewöhnungsbedürftig. Sie
finden früh, sehr früh statt. Je früher man kommt,
desto besser, frischer und vielfältiger ist die
Auswahl. Am besten geht man noch vor oder
gleich nach dem Frühstück. Ein Fischmarkt, der
was auf sich hält, schließt pünktlich um 12h00,
noch vor dem Mittagessen. Später gibt’s Fisch nur
noch im Supermarkt.
Kommt man früh, merkt man, dass so ein
Fischmarkt, wie alle Märkte, einen eigenen
Kosmos bildet. Es beginnt bei den Parkplatzzuweiser,
alle inoffiziell und selbst ernannt. Aber
sie tun mir immer irgendwie einen Parkplatz auf,
manchmal auch in der dritten Reihe. Sie nennen
mich anbiedernd “Tia!” Tante, helfen mir mit der
schweren Kühlbox voller Fische und ich
revanchiere mich, indem ich ihnen auch mal die
Autoschlüssel anvertraue, zum Umparken, siehe
oben, dritte Reihe.
Mein Fischmarkt bietet viel. Natürlich den
frischesten Fisch der Welt. Freundliche und
kompetente Fischverkäufer, die nur allzu gerne zu
einem Schwatz aufgelegt sind. Genauso wie die,
sozusagen die Hilfskräfte, deren Beruf es ist, die
Fische, die ich soeben gekauft habe, ausnehmen
und je nach Kundenwunsch pfannenfertig her zu
richten. Die schenken mir auch mal leckeren
Fischlaich. Der würde sonst weggeworfen und
erklären mir die Anatomie der Fische und
anderes. Sie wissen wie alle hier, welche Fische
wie eingeschnitten werden müssen. So kann man
sie, trotz der vielen feinen Geräten problemlos
verspeisen. Machen daraus eine Meisterleistung.
Reihen drei, vier Fische vor sich auf und schneiden
sie dann so routiniert und blitzschnell ein, ein
Schnitt haarscharf neben dem anderen, das
Messer von der Fingerkuppe geleitet, so virtuos
und routiniert, dass sie dabei nicht mal mehr auf
die Finger schauen müssen. Das Einschneiden
heißt “ticar”, ein Verb, das nur für diese Arbeit
verwendet wird.
Zusammen mit den nicht so einfachen Namen der
Fische lerne ich auch ein ganz neues,
hochspezifisches Vokabular. Eigne mir nicht nur all
die komplizierten Namen der Fische, sondern auch
das Wissen an, wie man Fisch einkauft. Sehe beim
Salzen zu, beim Einpökeln und Trocknen der
Fische. Unhygienisch, schauerlich und faszinierend.
Das ganze gewürzt mit kleinen Geschichten,
Anekdoten, wie dieser der “Traira”. Die Frau, die
sie gerade ausnimmt, weist auf ihre spitzen Zähne
und erzählt mir, dass sie doch mal von einer, sie
war so frisch, dass sie noch lebte, gebissen wurde.
Es ist kein edler Fisch, wie die vielen anderen, die
sie auf der anderen Straßen-seite verkaufen. Aber
hier weiß jeder, was es bedeutet, wenn man von
jemandem sagt, er sei “Traira”, hinterhältig eben.
Bewundere den Stolz und das Wissen der
Fischverkäufer. Sie alle sind meiner Meinung, dass
es hier im amazonischen Hinterland wohl den
frischesten Fisch der Welt, wenigstens der Welt,
die wir beide kennen, gibt. Im Angebot sind nur
Süßwasserfische, einmal gefangen, landen sie
stunden später im Topf. Und so will ich heute nur
noch den allerfrischesten Fisch. Gelernt ist gelernt.
Kein Problem, ich versichere Ihnen, schwöre, wie
es hier Brauch ist, mit zusammengeschlagenen
Knöcheln (jurar de pés juntos), dass der Fisch, den
man hier kauft, garantiert keinen “Pitiu” (lokales
Wort für Fischgeruch) hat. Dennoch, die Verkäufer
haben sich daran gewöhnt, dass ich die Kiemen
der Fische sehen will, und dass ich alle Fische, auch
die lokalen, kleinen und die mit den vielen Gräten
esse. Und dass ich bis heute nicht so genau weiß,
wie man die Frische eines Fischbauchs beurteilt,
denn den halten sie mir immer wieder zum
Überprüfen derselben hin. Am Bauch kann man
übrigens auch sehen, wie fett so ein Fisch ist.
Fette Fische mögen sie hier traditionellerweise am
liebsten. Und starken Eigengeschmack oder
Persönlichkeit sollen sie auch haben, so wie der
„Tambaqui“. Heute mehrheitlich aus Fischzuchten
geliefert, was den Bestand wohl rettet, kommt
sein fettes Fleisch, perfekt zum Grillen, von all den
Kokosfrüchten, Kastanien und anderen
Baumfrüchten, die dem Pflanzenfresser sozusagen
ins Fischmaul fallen. Delikate Fische, wie ich sie
aus Europa gewohnt bin, gelten hier als
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