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Amazonien - ein Foto- und Lesebuch - Susanne Gerber-Barata

Foto- und Lesebuch über den brasilianischen Amazonas

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Für jemand, der wie <strong>ein</strong> Teil der Arbeiter vor den<br />

Hungers- <strong>und</strong> Dürrezeiten aus dem Nordosten<br />

hierher flüchtete, <strong>ein</strong>e Art surreales Paradies,<br />

paternalistisch, durchorganisiert, das sich aber in<br />

relativ kurzer Zeit auch als <strong>ein</strong>e Art Gefängnis,<br />

<strong>ein</strong> goldener Käfig entpuppt. Alkoholkonsum zum<br />

Beispiel ist strickte untersagt. Zur Freizeitgestaltung<br />

verfügt die Stadt, in nur fünf Jahren<br />

hochgezogen, über Sportplätze, Geschäfte, Clubs,<br />

Billardclub <strong>und</strong> gar <strong>ein</strong> Kino, für die Gegend<br />

extrem ungewöhnlich. Aber dem methodischen<br />

Henry Ford entgeht nicht das kl<strong>ein</strong>ste Detail im<br />

kontrollierten Leben s<strong>ein</strong>er Angestellten/<br />

Untergebenen. Auch der Inhalt der Kochtöpfe ist<br />

strickte amerikanisiert. Das führt nach kurzer Zeit<br />

zur sogenannten “Revolte der Kochtöpfe oder der<br />

Farinha”. Die mitten im Dschungel festgehaltenen<br />

Arbeiter streiken für <strong>ein</strong>e ihren Gewohnheiten<br />

angepasstere Verpflegung. Sie wollen auch in<br />

Belterra jeden Tag Farinha <strong>und</strong> Fisch essen. Zum<br />

Teufel mit dem von Ford auferzwungene Spinat<br />

<strong>und</strong> anderem exotisch-importierten Essen! Wohl<br />

der Anfang vom Ende.<br />

Noch <strong>ein</strong>e in den Sand gesetzte Investition.<br />

Weitere, bis dahin unbekannte Krankheiten<br />

verwüsteten die riesigen Monokulturen. Nicht nur<br />

das Ende des Zweiten Weltkrieges, sondern<br />

auch die Entwicklung des synthetischen<br />

Kautschuks, gewonnen aus Erdölderivaten,<br />

setzten dem Traum <strong>ein</strong> jähes Ende. Henry Ford<br />

verkaufte die Stadt nach <strong>ein</strong>em Verlust von mehr<br />

als 100 Millionen USD in aktueller Währung für<br />

umgerechnet 250 Tausend Dollar an den<br />

brasilianischen Staat. Wer heute hierherkommt,<br />

kann die Geschichte nur ahnen, auch wenn sie<br />

uns viel über die glorreiche <strong>und</strong> auch nicht so<br />

glorreiche Vergangenheit des Amazonas zu<br />

erzählen hätte.<br />

Das Motto der Gr<strong>und</strong>schule Darcy Vargas, hoch<br />

unters Dach geschrieben: – Von Herzen dienen<br />

wir Belterra – ist wie Vargas <strong>und</strong> auch Belterra<br />

selbst, ziemlich aus der Mode gekommen. Mitten<br />

im Zentrum erinnert <strong>ein</strong> kl<strong>ein</strong>er Pavillon daran,<br />

dass hier wohl ehemals Musikkapellen<br />

aufspielten. Nur <strong>ein</strong>e halbe Autost<strong>und</strong>e von<br />

Santarém, exakte 48 km, rechts <strong>und</strong> links von<br />

end- <strong>und</strong> end- <strong>und</strong> endlosen Sojafeldern<br />

gesäumt, liegt das Dorf Belterra. W<strong>und</strong>ersamerweise<br />

ist noch viel von der <strong>ein</strong>stigen Musterstadt<br />

übrig. Viel erinnert ans amerikanische Vorbild. Auf<br />

der schnurgeraden Hauptstraße, auf der k<strong>ein</strong>e<br />

Fords Ts (berühmtes Automobil Fords) mehr<br />

fahren, erinnert nichts an die unglückliche<br />

Verknüpfung misslicher Umstände, Unfähigkeiten<br />

in Administration <strong>und</strong> Organisation, die neben<br />

dem Kulturschock das ehrgeizige Projekt scheitern<br />

ließen.<br />

Die schmucken Holzhäuser in Weiß <strong>und</strong> Grün mit<br />

ihren kl<strong>ein</strong>en Veranda <strong>und</strong> der offenen Küche im<br />

amerikanischen Stil bewohnen heute die<br />

Nachfahren jener, die vor Hunger <strong>und</strong> Dürren aus<br />

dem gep<strong>ein</strong>igten Nordosten hierher flüchteten,<br />

Tür an Tür mit den aktuellen Zuwanderern, den<br />

Südbrasilianern. “ Tche Variedades”, noch <strong>ein</strong><br />

Gaúcho, <strong>ein</strong>en Südbrasilianer aus den endlosen<br />

Pampas hat hier <strong>ein</strong>en kl<strong>ein</strong>en Laden<br />

aufgemacht.<br />

Aber was für <strong>ein</strong> säuerlich verführerischer Duft<br />

drängt sich auf? Unvergleichliches Parfüm,<br />

unverkennbar Cupuaçu! Da drüben hängen <strong>ein</strong><br />

paar Bäume voller ovaler, wohl unterarmlanger<br />

Riesenfrüchte, samtbraun <strong>und</strong> duftend. In der<br />

Zwischenzeit spricht uns <strong>ein</strong> älterer Herr an, die<br />

Augen wach <strong>und</strong> blank, die schon ergrauten<br />

Haare straff zurückgekämmt. Der bloße<br />

Oberkörper zeigt <strong>ein</strong>en leichten Bauchansatz.<br />

Wie jeder Landbewohner ist ihm <strong>ein</strong> Schwatz mit<br />

den wild herumfotografierenden Touristen, <strong>ein</strong>e<br />

hier wohl eher rahre Spezies, mehr als<br />

willkommen. Lädt uns zuerst <strong>ein</strong> auf s<strong>ein</strong>e kl<strong>ein</strong>e<br />

Veranda, die dem grün-weißen Häuschen<br />

vorgebaut ist. Sie bietet gerade mal zwei Bänkchen<br />

<strong>und</strong> <strong>ein</strong>er diagonal ausgehängten<br />

Hängematte Platz. Erzählt uns von der jungen<br />

Generation, die es erfolgreich bis São Paulo<br />

geschafft hat, <strong>und</strong> dann von jenden anderen<br />

Touristen, Amerikanern, die kürzlich hier waren.<br />

Sie sch<strong>ein</strong>en hier, <strong>ein</strong> Millionenprojekt, <strong>ein</strong>e Art<br />

Freilichtmuseum errichten zu wollen, zur<br />

<strong>Amazonien</strong>, <strong>ein</strong> <strong>Foto</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lesebuch</strong> - <strong>Susanne</strong> <strong>Gerber</strong>-<strong>Barata</strong> 897

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