18.05.2018 Aufrufe

Amazonien - ein Foto- und Lesebuch - Susanne Gerber-Barata

Foto- und Lesebuch über den brasilianischen Amazonas

Foto- und Lesebuch über den brasilianischen Amazonas

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Hinter Gittern<br />

Zwei Bilder haben sich von m<strong>ein</strong>er allerersten<br />

Reise in den Amazonas in m<strong>ein</strong>e Erinnerung<br />

<strong>ein</strong>gebrannt. Eine quer durchs nachtschwarze<br />

Wohnzimmer gespannte Hängematte, in der ich<br />

trotz des Halbdunkels <strong>ein</strong>e Person weiß. Ein<br />

Finger, an den M<strong>und</strong> gelegt, gebietet Stille <strong>und</strong><br />

<strong>ein</strong> paar Gesten machen mir klar, dass es sich<br />

wohl um die Hausangestellte der Gastgeber<br />

handeln muss. Wir bücken uns so leise wie<br />

möglich unter der Hängematte durch -<br />

Privatsphären werden hier im Norden etwas<br />

anders gehandhabt. Man wohnt, getrennt durch<br />

sehr viele Gitter, sehr nah auf<strong>ein</strong>ander. Immer<br />

bellen auch der Fernseher oder das Radio des<br />

Nachbarn, ständige Geräuschkulisse immer<br />

irgendwo im Hintergr<strong>und</strong>.<br />

Das zweite Bild: Der heftige Regenguss fällt schräg<br />

durch das Türgitter mitten in den Wohnbereich.<br />

Peitscht heftig <strong>und</strong> urgewaltig auf den st<strong>ein</strong>ernen<br />

Fußboden. K<strong>ein</strong> Glas, k<strong>ein</strong> Holzladen hindert ihn<br />

daran. Wozu auch? Bei konstanten Temperaturen<br />

um die 30 Grad ist der erfrischende Regen<br />

hochwillkommen <strong>und</strong> <strong>ein</strong> bisschen Wasser schnell<br />

weggewischt. Der Regen aber, der ungehindert<br />

durchs Türgitter <strong>ein</strong>dringt <strong>und</strong> die unendlich<br />

vielen anderen Gitter lassen mir bis heute k<strong>ein</strong>e<br />

Ruhe.<br />

Schmalbrüstig klebt hier in den Städten <strong>ein</strong><br />

<strong>ein</strong>zimmerbreites Haus am identisch nächsten.<br />

Gleich hinter dem engen Bürgersteig steigen die<br />

Gitter hoch. Identisch auch sie, verriegeln die<br />

gleiche oder fast, tausendste Variante des<br />

halbmetertiefen Eingangsbereichs, zugekachelt,<br />

zubetoniert. Die obligate Ziertischstuhlgarnitur,<br />

mit den abwaschbaren Plastikkissen, schon etwas<br />

abgeschossen, quetscht sich zwischen zwei<br />

altmodische Blumentöpfe. Den kümmerlichen<br />

Zierpflanzen fehlt an Licht, was sie an Wasser zu<br />

viel bekommen. Manchmal belebt <strong>ein</strong> kl<strong>ein</strong>er,<br />

aggressiver Köter oder <strong>ein</strong> halb nacktes<br />

Windelkind das Stillleben. Auch Halbwüchsige mit<br />

speziellen Bedürfnissen werden zum Luftschöpfen<br />

in diesem Käfig untergebracht. Muss auch noch<br />

der Familienwagen hinter Gitter, greift man listig<br />

Besitz des öffentlichen Raumes. Lässt in den Zaun<br />

in der Höhe des Kofferraums <strong>ein</strong>e Art Ausbuchtung,<br />

wie <strong>ein</strong>en Hintern <strong>ein</strong>bauen, Platz genug für<br />

den Kofferraum des Firmenwagens.<br />

Wird man ins Hausinnere <strong>ein</strong>geladen, vielleicht zu<br />

<strong>ein</strong>em Kaffee in die Küche, kann man das<br />

Schmalbrüstige auch ganz konkret erleben. Man<br />

durchquert nämlich entweder <strong>ein</strong>en endlos langen<br />

Korridor, so schmal, dass man dessen Wände<br />

beidseitig problemlos greifen könnte, von dem alle<br />

Zimmer abgehen oder geht durch <strong>ein</strong>e endlose<br />

Reihe von Zimmern, <strong>ein</strong>s nach dem anderen, bis<br />

man endlich ganz hinten in der Küche landet.<br />

Dahinter nur der mit allerlei Krimskrams<br />

vollgestopfte Hinterhof.<br />

In all diesen Häusern <strong>und</strong> auch allen anderen,<br />

beginnt mit dem frühen, abrupten Her<strong>ein</strong>fallen<br />

der Nacht das große Ein- <strong>und</strong> Zuschließen,<br />

typisch für alle urbanen Zentren. Auch in den mit<br />

Gittern, inklusive Fernbedienung abgeschlossenen<br />

Wohnstraßen, verbarrikadieren man sich.<br />

Nur mich sch<strong>ein</strong>t die buchstäblich gefangene, nur<br />

vom Ventilator ständig durchmühlte Hitze fast zu<br />

ersticken. Auch den zwei, drei, von Nachrichten<br />

unterbrochenen Novelas, von denen man sich<br />

mindestens <strong>ein</strong>e ansehen muss, versüßen mir<br />

das Gefangenens<strong>ein</strong> nicht.<br />

In großen Städten ist alles vergittert. Es gibt Tür<strong>und</strong><br />

Fenstergitter, Gitterzäune, Abschrankungen,<br />

auch der Balkon im zweiten Stock ist vergittert.<br />

Manche Häuser sind richtige Käfige, denn wer<br />

sagt denn, dass die Diebe nicht vielleicht durchs<br />

Dach <strong>ein</strong>steigen? M<strong>ein</strong>e Versuche, den f<strong>ein</strong><br />

ziselierten <strong>und</strong> eleganten, von geschickten<br />

Handwerkern zu Ornamenten <strong>und</strong> Arabesken<br />

verdrehten <strong>und</strong> geschmiedeten Eisen <strong>ein</strong>e<br />

gewisse Ästhetik abzugewinnen, scheitern.<br />

Vergeblich, sie als nützliche, eiserne Kunstwerke<br />

anzusehen, in ihren exotischen Ornamenten<br />

erstarrte Klöppelspitzen sehen zu wollen,<br />

dekorativ <strong>und</strong> filigran. Es bleiben aufwendig<br />

gearbeitete Barrieren, die so tun, als ob sie nur<br />

Schleier wären, diskret <strong>und</strong> romantisch im<br />

Zwiegespräch mit der Architektur. Schlimmer<br />

noch die aggressiv massiven Eisenbolzen, die<br />

<strong>Amazonien</strong>, <strong>ein</strong> <strong>Foto</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lesebuch</strong> - <strong>Susanne</strong> <strong>Gerber</strong>-<strong>Barata</strong> 537

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!