18.05.2018 Aufrufe

Amazonien - ein Foto- und Lesebuch - Susanne Gerber-Barata

Foto- und Lesebuch über den brasilianischen Amazonas

Foto- und Lesebuch über den brasilianischen Amazonas

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Indigenes – die ewige Faszination<br />

Mitten auf dem Dorfplatz, in <strong>ein</strong>er Ecke <strong>ein</strong><br />

richtiger Auflauf. Touristen formen <strong>ein</strong>e animierte<br />

Schlange. Stehen an, um sich ihr Tattoo malen zu<br />

lassen. Die Indigena ist extrem geschickt. Ihre<br />

Zeichnungen sind be<strong>ein</strong>druckend, symmetrisch,<br />

traditionell. Man sieht, dass sie viel Übung hat<br />

<strong>und</strong> geschickte Hände. Wieder steckt sie das<br />

Stäbchen in den schwarzblauen Jenipaposaft.<br />

Drückt noch <strong>ein</strong>e exakte Linie auf <strong>ein</strong>en bleichen<br />

Arm im exakt genauen Abstand zur letzten. Ganz<br />

Wagemutige halten gar das Gesicht hin. Die<br />

indigene Bemalung hebt sich w<strong>und</strong>erbar ab von<br />

den Tattoos, tendenziell ordinär, die die Touristen<br />

schon mitbringen. Die Kommunikation mit der<br />

geschickten Indigenen ist nur per Zeichen<br />

möglich. Sie spricht nur die Sprache ihres<br />

Stammes. Aber alle sind zufrieden.<br />

Andere, fremde Kulturen <strong>und</strong> Völker, auch wenn<br />

sie mitten aus Brasilien kommen, faszinieren.<br />

Etwas über sie zu lernen erweitert den Horizont,<br />

bereichert. Verändert sich die Welt, werden<br />

<strong>ein</strong>zelne Aspekte <strong>ein</strong>er Kultur, früher geächtet<br />

oder verachtet, heute neu bewertet. Das selbe<br />

passiert gerade mit den indigenen Kulturen<br />

Brasiliens. Plötzlich ist es „cult“, sich vergängliche<br />

indigene Muster aus dem traditionellen Saft des<br />

Jenipapos auf s<strong>ein</strong>e bleiche Haut, gar <strong>ein</strong>e blaue<br />

Linie, vom Augenwinkel bis zum Haaransatz <strong>und</strong><br />

von der Unterlippe übers Kinn zum Beispiel ins<br />

Gesicht malen zu lassen. Tattoos sind sowieso in<br />

Mode <strong>und</strong> die hier halten mal gute zwei Wochen.<br />

In indigenen Gesellschaften wird den Körper, der<br />

Ästhetik <strong>und</strong> der Haut im besonderen viel Wert<br />

zugemessen, der schon im Kindesalter beginnt.<br />

Die Körperbemalung variiert von Stamm zu Stamm<br />

<strong>und</strong> hat somit den Status <strong>ein</strong>er nicht verbalen<br />

Sprache. Körperbemalung zeigt den Status <strong>ein</strong>er<br />

Person in der Gruppe. Ihre Bedeutung ist sehr weit<br />

definiert. Geht von r<strong>ein</strong>er Ästhetik bis zur<br />

Vorbereitung auf <strong>ein</strong>en Krieg oder kann auch<br />

Dämonen fern halten, ist vitaler Teil von<br />

Zeremonien, Übergangsriten <strong>und</strong> anderen<br />

Ritualen. Die Bemalung wird zur zweiten Haut. Die<br />

Haut, Limit zwischen Körper <strong>und</strong> Umwelt, wird<br />

<strong>ein</strong>e Schlüsselfunktion zugeschrieben. Ein<br />

bemalter Körper ist <strong>ein</strong> ges<strong>und</strong>er Körper. Zudem<br />

schützt die Bemalung vor Sonnenstrahlen <strong>und</strong><br />

Insektenstichen.<br />

Die indigenen Völker bemalen ihre Haut mit<br />

Jenipapo, Urucum, Kohle <strong>und</strong> Kalk <strong>und</strong> färben sich<br />

auch die Haare damit. Sie mischen die Farben mit<br />

den unterschiedlichsten Palmölen, Tucum, Inajá<br />

oder mit Pequi, Copaíba, Andiroba. Ein<br />

überliefertes, gefährdetes Wissen. In Gefahr, für<br />

immer verloren zu gehen. Überrollt von der<br />

Moderne. Es handelt sich hier vermutlich um das,<br />

was die lokalen Intellektuellen als “Ethnozid”<br />

anprangern.<br />

Das Kinderfest findet <strong>ein</strong>mal pro Jahr statt. Eine<br />

<strong>ein</strong>zelne oder Gruppen von Gönnerinnen<br />

veranstalten <strong>ein</strong> Fest für all die, die es nicht so<br />

<strong>ein</strong>fach haben. Laden die Unterprivilegierten,<br />

oder besser ihre Kinder zu all dem <strong>ein</strong>, was man<br />

hier s<strong>ein</strong>en eigenen Kindern zum Geburtstag<br />

anbietet. Und alle kommen. Die meisten<br />

Indigene. Die paar blonden, plötzlich extrem<br />

weißhäutigen Kinder <strong>ein</strong> paar Intellektuelle<br />

stechen exotisch heraus. Als dann das<br />

Puppenspielerpaar aus São Paulo beim<br />

Her<strong>ein</strong>fallen der Nacht alle demokratisch um sich<br />

versammelt, sehe ich mich, leider, leider,<br />

gezwungen, mich zurück zu ziehen. Ihre traurige<br />

Geschichte erzählt von <strong>ein</strong>em der “Navios<br />

Negreiros”, den Schiffen, die die schwarzen<br />

Sklaven übers Meer brachten.<br />

Sitze gut <strong>ein</strong>gequetscht auf den <strong>ein</strong>fachen<br />

Tribünen des Sairódromos. Gleich werden die<br />

zwei “Botos”, die Delphine, der Rosa Delphin <strong>und</strong><br />

der Tucuxí, der Graue, gegen <strong>ein</strong>ander kämpfen.<br />

Es ist schon spät, aber irgendwann wird es schon<br />

losgehen. Wie <strong>ein</strong> Schlag trifft mich die<br />

Erkenntnis, dass ich von den wenigen<br />

Außenstehenden bin. Bin sehr bleich, exotisch<br />

bleich, <strong>und</strong> dazu noch Ausländerin! R<strong>und</strong> um<br />

mich herum nur Indigene. Kann mir die<br />

ungeheure Frage nicht verkneifen: Woher<br />

kommen die nur alle? Wo leben die nur alle? Im<br />

Alltag jedenfalls sind sie so gut wie unsichtbar.<br />

Ein paar nur kenne ich als Touristenführer.<br />

Am 7. September, bei der paramilitärischen<br />

Parade sind sie auch alle wieder da. Manche gar<br />

als portugiesische Eroberer verkleidet. Wie war<br />

das gleich mit dem Ethnozid? .....<br />

<strong>Amazonien</strong>, <strong>ein</strong> <strong>Foto</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lesebuch</strong> - <strong>Susanne</strong> <strong>Gerber</strong>-<strong>Barata</strong> 328

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!