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Amazonien - ein Foto- und Lesebuch - Susanne Gerber-Barata

Foto- und Lesebuch über den brasilianischen Amazonas

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Babyrosa<br />

Ich warte mal wieder irgendwo auf irgend<strong>ein</strong>en<br />

Bus. Das Hemd des Busfahrers, Teil s<strong>ein</strong>er<br />

Uniform, ist leuchtend Rosa. Habe dieses<br />

leuchtende Schockrosa, auch in f<strong>ein</strong>eren<br />

Babyrosaabstufungen, synthetisch, leuchtend wie<br />

<strong>ein</strong> Bonbon, hier schon an verschiedenen<br />

Mannsbildern gesehen. Sieht toll aus! Steht<br />

besonders den „Caboclos“ mit ihrer leicht<br />

gebrannten Haut ausgezeichnet. Ihrem<br />

selbstsicheren Auftreten nach sch<strong>ein</strong>en sie das<br />

auch zu wissen.<br />

Rosa. Schließen Sie die Augen <strong>und</strong> sagen Sie mir,<br />

welche Farben die Menschen in den Tropen<br />

tragen? Die Mehrheit erwartet starke, üppige<br />

Farben, wahre Farborgien. Die Realität allerdings<br />

bleibt auch hier hinter den Erwartungen zurück.<br />

Wenn die Hochglanzprospekte <strong>ein</strong> farbenfrohes<br />

Tropenparadies vorgaukeln, schummeln sie.<br />

Besonders wenn es um den Amazonas geht. Die<br />

brillante Leuchtfarben, die uns Zugewanderten so<br />

magisch anziehen, die selben, die sich so<br />

effektvoll vom üppigen Grün der Natur abheben<br />

<strong>und</strong> natürlich w<strong>und</strong>ervoll zu all den<br />

Abschattierungen olivener, karamellfarbener,<br />

schokobrauner, zimt- <strong>und</strong> nelkenfarbener Haut<br />

passen, gibt es nur in den Reiseprospekten oder in<br />

Brasiliens Nordosten.<br />

M<strong>ein</strong> Amazonas ist monochrom, auch da, wo die<br />

Flüsse fast so strahlend blau sind wie die<br />

Riesenhimmel. Die Schiffe bringen zwar etwas<br />

farbige Fröhlichkeit ins Einerlei, aber sonst<br />

beschränkt sich alles auf <strong>ein</strong>e stetige<br />

Wiederholung oder Varianten der selben<br />

Halbtöne: Die selben Blaus, Sand, Schlamm,<br />

Bronze, Rostrot <strong>und</strong> Dichtgrün. Dichtgrün, Blau,<br />

Bronze, Rostrot, Schlamm <strong>und</strong> Sand, mit <strong>ein</strong>er<br />

Prise Weiß <strong>und</strong> Türkis, neben den Pastells der<br />

traditionellen Häuser aus der Kolonialzeit. Die<br />

hässlich-modernen Städte sind überall grau, <strong>ein</strong>e<br />

nicht sehr scharfe Schwarz/Weiß <strong>Foto</strong>grafie,<br />

überschiefert, gräulich, wie mit <strong>ein</strong>em Schleier<br />

überzogen, wie alle Farben hier im Norden. Grau<br />

geht den Regen voraus <strong>und</strong> folgt ihnen nach.<br />

Brennt dazwischen die Sonne tropisch herunter,<br />

schneidet, ja brennt sie das Grün des Regenwaldes<br />

heraus. Ewiggrün ist er, mit sehr wenigen, sehr gut<br />

versteckten Blüten.<br />

Brasilien leuchtet, aber auf <strong>ein</strong>e ganz unerwartete<br />

Art, denn hier ist der Strahlehimmel meist mit<br />

Wolkenbänken marmoriert. Sie wandern, in<br />

ständiger Bewegung, über die Himmel. Mal sind<br />

sie leicht hin getupft, fast könnte man mit ihnen<br />

spielen, mal sind sie schwer. Plötzlich ballen sie<br />

sich zusammen, verschlucken sich gegenseitig,<br />

verwandeln sich in braungraue Wände, aus denen<br />

es bald jene Wasser regnen wird, die überall hin<br />

kommen. Schräg fallende, ausgewaschene,<br />

ausgeblutete Tinten, <strong>und</strong>urchsichtig, schleirig<br />

vergraut. Die Flüsse werden noch schlammiger, zu<br />

bräunlichen Tees, kaffeefarbene Schlammfluten.<br />

Die irdischen Wasser mischen, verwischen sich<br />

mit den himmlischen Sintfluten. Natur, Flüsse,<br />

Meere, Regen, Wolken, Himmel werden zu<br />

<strong>ein</strong>em <strong>ein</strong>zigen Ganzen, hinter denen auch die<br />

letzten endlos üppigen, <strong>ein</strong>zigen <strong>und</strong> monotonen<br />

Grüns verschwinden.<br />

Von oben sieht der Amazonas aus wie grüne<br />

Wüsten, <strong>ein</strong> Meer aus lauter an<strong>ein</strong>andergereihter<br />

Brokkoliköpfe, über die jemand mit<br />

sehr, sehr viel Geduld <strong>und</strong> spielerischer Hand<br />

<strong>ein</strong>en f<strong>ein</strong>en Faden Honig hat zerlaufen lassen,<br />

zusammen mit <strong>ein</strong> paar sandfarbenen<br />

Abschattierungen, mal weißlicher, heller, mal<br />

orangener oder brauner Erde, Sand <strong>und</strong> hie <strong>und</strong><br />

da frei gerodete Böden. Nicht von ungefähr<br />

finden alle Brasilianer unsere üppig farbigen<br />

Blumengärten zum Sterben schön, <strong>ein</strong>e sorgfältig<br />

gezogene Rose, im Tropenklima kümmerlich vor<br />

sich hin vegetierend, zum Dahinschmelzen, <strong>ein</strong><br />

Ideal! Viel schöner als das w<strong>und</strong>erschönste<br />

Riesenblatt, die schönste tropische Orchidee.<br />

Wie sehr sich die Sehnsucht nach dem<br />

„Exotischen“, das, was nur der andere hat,<br />

ähneln!<br />

Aber halt, da ruft der Busfahrer, unübersehbar<br />

im Babyrosa Hemd, schon zum Einsteigen. Los<br />

gehts!<br />

<strong>Amazonien</strong>, <strong>ein</strong> <strong>Foto</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lesebuch</strong> - <strong>Susanne</strong> <strong>Gerber</strong>-<strong>Barata</strong> 57

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