Amazonien - ein Foto- und Lesebuch - Susanne Gerber-Barata

Das ist halt so…..
Fassungslos, bin absolut fassungslos, aufgelöst,
geschockt und verzweifelt. Mit dem ersten der
tropisch-heftigen Regenfälle entpuppt sich das
Dach meiner Wohnstätte, ansonsten ziemlich
tropentauglich, als eine Art Sieb. Weder Eimer,
Schüsseln, Becken noch Lappen reichen aus, das
Tropfen, Fließen, die Bäche, Wasserfälle und
Sintfluten aufzufangen, geschweige ihnen eine
dezente Bestimmung zu geben! Rette sich, wer
kann! Versuche tief durchzuatmen, weder in
Panik zu geraten noch in Tränen auszubrechen.
Denn ich muss mir eingestehen, dass all meine
Versuche wohl fruchtlos bleiben werden! Auch
das Naheliegendste, alles irgendwie zu retten,
sozusagen ins Trockene zu bringen, ist für die
Katz. Es gibt kaum ein trockenes Eckchen. Schau
mal! Da fließt das Wasser einfach die Wände
runter, und das mitten im Wohnzimmer…. .
Die Tür geht auf und unser Mann für alle
Umstände kommt herein. Meiner offensichtlichen
Verzweiflung ansichtig, zuckt er nur mit den
Schultern. Und es kommt jener unvorstellbare
Satz über seine Lippen, für den ich ihn schlicht
ohrfeigen oder umbringen könnte: „Dona Susan, é
assim mesmo.“ – „Meine liebe Frau Susan, das ist
halt leider einmal so!!!!“
„É assim mesmo“ - kaum ein anderer Satz hat
mich mehr über die Menschen hier gelehrt. Er
kondensiert all das passive Hinnehmen, das sich
einfach und widerstandslos ins Schicksal fügen, das
Gott-Gegebene, Gott-Gewollte all jener, die
schon lange aufgehört haben, sich dagegen
aufzulehnen, wissen, dass sie keine einzige Chance
haben gegen die anderen, die Mächtigen, die, die
hier den Ton angeben und die Puppen tanzen
lassen. Fehlt nur, sich neben einen der stetigen
Tropen zu setzten und die Hände stoisch im Schoß
zu verschränken und warten, bis die Regenzeit zu
Ende geht. Eine Handvoll Intellektueller
interpretiert dieses so typische sich ins
Unabänderliche schicken auch als eine Art passiver
Racheakt, eine Art von lokalem Widerstand... .
Viele der hiesigen NGOs üben sich gerade im
„Empowering“ der Einheimischen, die dann
allerdings mit jener nigelnagelneuen Macht
ausgestattet, oft ziemlich weit übers Ziel
hinausschießen.
Meine Rache ist anderer Art. Genau zwei Tage
später sieht man vom Sofa aus den nicht gerade
strahlend blauen Himmel. Fünf Männer
sind gerade dabei, eine silbergraue Isoliermatte
über die einfache Dachstruktur zu ziehen. Decken
noch einen Meter ab und nageln auch da das
Silber fest. Decken dann wieder die Ziegel darüber
und ich habe ein nigelnagelneues, fast
wasserundurchlässiges Dach, das das
Wohnzimmer überspannt. Es ist, eine
willkommene Zugabe, erst noch um ein paar
Grade kühler. Die nächsten absolut tropischen
Sintfluten, sie können ganze Nächte runter
gießen, herrlich monoton und einförmig, werden
nun nur noch von kleinen, gut lokalisierbaren
Tropfgesängen unterbrochen. Da
Schafft ein Becken oder ein Topf Abhilfe. Gegen
das stetige Tropfen hilft ein weicher Lappen.
„É assim mesmo“ aber begleitet mich fortan
durch den Amazonas. Diese wertvolle Lektion
habe ich gelernt!
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