Amazonien - ein Foto- und Lesebuch - Susanne Gerber-Barata

Stimmen des Amazonas
Das Röhren, dunkel, hohl, über Kilometer weit zu
hören, schwillt an, zieht sich zurück, wird von
irgendwo her erwidert. Der Amazonas schreit.
Wer das Brüllen zum ersten Mal hört, guttural,
beeindruckend, erschauert. Manche fürchten
sich, fühlen sich sehr unscheinbar, würden wohl
am liebsten im Boden versinken. Besonders wenn
die Nacht schon auf den Morgen zugeht und sie
das Gebrüll aus wirren Träumen geschrien hat.
Der Amazonas hat viele Stimmen. Manchmal
schreien sie, es sind die Brüllaffen, auch vor dem
Einnachten, wohl um ihr Territorium einzubrüllen,
oder weil sie Anschluss suchen. Der Brüllaffe der
Fotos (diese und vorhergehende Seite) jedenfalls,
ist allein. Auch er brüllt. Nur selten antwortet ihm
einer, wenn er vom höchsten Baum im Umkreis
losröhrt. Ein Teenager noch, männlich, wohl von
der Gruppe ausgestoßen.
Die Stimmen eines ländlichen Amazonas machen
sich besonders Nachts bemerkbar, sind voller
ungewöhnlich-unheimlicher Geräusche. Immer
wieder schlägt irgendwo ein Hund an, andere
bellen zurück. Hähne schmettern ihr Kickericki im
Halbstundentakt, lange vor dem Morgengrauen.
Wenn die Brüllaffen gerade schweigen, miauen
verliebte Katzen ihr Babygeschrei, das
übergangslos in fetzenfliegendes Raulen
übergeht. In die Pausen schnarrt der Aracuã.
«Arancuã, Arancuã knarrt er seinen Namen
mehrmals hintereinander durch die Nacht. Wer es
nicht besser weiß, würde das Schnarren nie einem
harmlosen, etwa hühnergroßen Vogel
zuschreiben. Dann ist wieder alles wie immer. Nur
die eilig tickenden Eintonfrequenzen der Grillen
und Zikaden, ein elektrisches Zirpen, monoton und
einsilbig füllen das Dunkel. Zusammen mit dem
stetigen blutrünstigen Summen tausenderlei
Stechmücken, die irgendwo da draußen auf ihren
Blutzoll lauern. Ist Regen angesagt, kann man auch
Kröten und Frösche hören, die einem mit ihrem
Quackkakofoniekonzert in den Schlaf wiegen. Ihr
überaus variantenreiches Repertoire umfasst die
unterschiedlichsten Tonhöhen. Sie quaken,
schnattern, bellen oder singen. Einer blökt gar fast
wie ein Schaf. Wie viele Stimmen der Amazonas
hat, fällt erst in der Stadt auf. Da ist es vergleichsweise
totenstill.
Am Tag sind es eher die Vögel, die die Stille
unterbrechen. Mit Glück kann man dem melo
dischen Gesang des Sabiás, in vielen Gedichten
besungen, lauschen. Ein absolut unscheinbarer
Vogel mit extrem melodischem, hoch und nieder
steigenden Gesang. Ist man weiter weg von der
Zivilisation, hört man den lockenden Ruf des
Capitão do Mato. Hin und wieder klopft auch ein
Specht mit extrem dekorativer Rotkäppchenhaube
oder ein Baumläufer mit ohrenbetäubenden,
energischen Schlägen die Bäume ab. Ihr Klopfen
muss für die vielen Würmer, Termiten oder
Larven, die unter der Baumrinde leben, einfach
unerträglich sein. Darunter mischt sich das
zirpige Pfeifen der Rotgesichte, katzengroße
Sagui-Affen, mit dem sie sich ständig
untereinander verständigen, wenn sie auf
Beutezug sind. Oder das nervös gutturale
Streitgespräch der «Zogzogs», die mal wieder ihr
Territorium verteidigen.
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