Amazonien - ein Foto- und Lesebuch - Susanne Gerber-Barata

meine Madonna noch ein Stück. Fast hätte ich ihr
den Arm gereicht. Höre aus ihrem etwas kurzem
Atem die leichte Müdigkeit und Anstrengung des
Wartens auf die Geburt heraus. Begleite sie bis an
den Strand hinunter, da wo sich ein vergessenes
Stück gepflasterter Strandpromenade und eine
endlos lange Kaimauer mit weißen Säulen dem
Wasser entlang zieht. Wie viele bleiche und zarte
Frauen haben hier wohl etwas Kühlung und eine
frische Brise gesucht? Sind hier, beschattet von
ihren kostbaren Sonnenschirmen, die gepflegten
Hände in elegant gehäckelten Spitzenhandschuhen
spazieren gegangen. Fächelten sich
erschöpft mit duftenden, rüschenbesetzten
Fächern zwischen der einen Laterne und der
nächsten die Illusion einer frischen Brise zu.
Die Madonna? Nein, sie war nicht nur ein
nostalgischer Traum. Da! Schau! Das schwindende
Licht schneidet ihre Silhouette aus dem schnell
dunkler werdenden Himmel heraus. Hochschwanger,
im Profil hebt sie sich vom Horizont ab. Rund
wölbt sich der gesegnete Leib.
Auf der Rückfahrt stoppen wir bei der
„Fazendinha“, einem kleinen Laden. Da gibt‘s eine
andere Köstlichkeit aus vergangenen Zeiten:
„Qualhada“, Sauermilch, ganz modern in einer
Einliter PET-Flasche verkauft. Sie ist cremig und
hat gerade die richtige Säure. Meiner Heiligen
hätte sie wohl auch geschmeckt. Sie schließt
gerade beim Kosten genießerisch die Augen, die
eine Hand auf dem hohen Leib.
Ja, zu dieser Zeit stand auch der Leuchtturm noch,
strategisch an der Spitze der Insel positioniert.
Heute legt nur noch das herrschaftliche Hotel
„Farol“ Zeugnis davon ab. Es hält Stand, fast
unberührt, nur die originale Möblierung aus
dunklem, fast schwarzem Holz, das dunkle
Getäfer wurde um ein paar Plastikstühle und
Plastiktischtücher ergänzt. Eine überraschend
wilde Stilmischung aus Schwarzwald und
Alpensanatorium, noch ein Hochalpenhotel im
eklektischen Stil aus der vorletzten
Jahrhundertwende, das sozusagen über Nacht in
den Tropen wieder erwachte.
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