Amazonien - ein Foto- und Lesebuch - Susanne Gerber-Barata

Das Messer
Das Messer, gut eine Handspanne lang, gehört
einem „Mateiro“. „Mateiro“ kann wohl mit
Waldarbeiter, Waldmann übersetzt werden.
Mateiros werden, wie alle hier, der Einfachheit
halber beim Vornamen gerufen. Sie sind zu jeder
Arbeit bereit. Antônio zieht sich gerade das
ausgeblichene T-Shirt über den Kopf. Entblößt
einen zähen, von körperlicher Arbeit durchtrainierten
Oberkörper. Die sehnigen Muskeln
zeichnen sich unter der olivenbraunen, sonnenverbrannten
Haut ab. Seine Bewegungen sind
flink, wieselhaft, organisch. Gerne hätte ich ihn
auf einer Exkursion in den Tropenwald dabei, um
zu sehen, wie er sich, wohl mit der selben
Schnelligkeit und Geschicklichkeit, an aalglatten
Palmenstämmen hochzieht, mir einen Weg frei
schlägt, auf eine, für uns andere unsichtbare,
Schlange hinweist.
Stellt seine Gummilatschen zur Seite. Ignoriert
den tropischen Regen, der keinerlei
Anstrengungen macht, nachzulassen, läuft
sozusagen unter ihm durch und begibt sich, nur
noch mit einer losen Bermuda bekleidet, ins
Treibhaus. Bald ist sein dichtes, rabenschwarzes
Haar total versuppt. Geht hin und zurück, holt mir
die handspannenlangen Pflänzchen her, die ich
aus der Erde nehme und für eine längere Reise
jeweils zu zehnt in Zeitungspapier einwickle. Nur
weil ich ausdrücklich darauf bestanden habe, und
weil ich schließlich eine verrückte Ausländerin bin,
darf ich hier Hand anlegen. Mir die Hände
schmutzig machen ist viel interessanter, als
tatenlos herumzustehen, wie die beiden
verantwortlichen, so wichtigen Chefs. Und
schmutzig werden meine Hände wirklich. Stolz
fotografiere ich nach getaner Arbeit meine
Trauerränder, neben den mit Pflanzenschösslingen
voll bepackten, eigentlich für Fische bestimmten,
Riesenkisten aus Styropor.
Halte inne, der Nachschub ist kurzfristig unterbrochen.
Da fällt mein Blick auf das Messer.
Achtlos hingeworfen, bannt sein ungewöhnliches
Design meinen Blick. Der Griff muss jemand aus
einem rohen Stück Metall, einem Rohr vielleicht,
selbst hergestellt haben. Habe schon gehört, dass
sich Gefangene in unendlicher Kleinarbeit solche
Mordsdinger zurechtbiegen und stundenlang an
irgendwelchen Kanten scharf schleifen. Aber hier
ist es wohl der „Mateiro“, der sich, der ewig
verrottenden Holzgriffe leid, aus einem einzigen
Stück währschaften Blechs einen neuen,
dauerhafteren zurechtgeschnitten hat. Hat die
Klinge darin eingespannt, das Blech um sie herum
zu einem Griff eingerollt, was einige Geschicklichkeit
voraussetzt. Die obere Hälfte des Griffes ist
etwas breiter und flacher, sicher, damit es besser
in der Hand liegt. Wage die Schärfe der Klinge, ein
langschenkliges, scharf zulaufendes Dreieck, am
Ansatz abgerundet, nicht zu überprüfen. Bin mir
aber sicher, dass das Messer, in einem anderen
Kontext, durch seine funktionelle, ursprüngliche
Schönheit bestechen würde.
Wie müßig – bewundere einmal mehr nicht nur
die handwerklichen Fähigkeiten, sondern auch
die Geschicklichkeit und Weitsicht solch einfacher
Leute. Werte, die in der Welt derer, die so gut
lesen und schreiben können, keinen Platz haben,
nicht honoriert werden, untergehen. Mateiros
sind oft Analphabeten, Ungebildete. Sie stehen
auf der streng hierarchischen Stufenleiter ganz
unten. Ist der Zugang zum Tropenwald bis heute
kompliziert, so war es früher noch komplexer. Oft
wurde die indigene Bevölkerung für diese Arbeit
zwangsverpflichtet, gepresst. Ihre Nachfahren
sind es, die sich bis heute nach Samen bücken,
Spuren lesen können und vor allem den Weg
freischlagen und alle andere harte körperliche
Arbeit verrichten. „Mateiros“ sind eine Art
Gehilfen, Gärtner, Mädchen für alles: Führer,
Sachverständige, Träger. Jede Forschungsstation,
jeder Biologe, alle, die im Dschungel forschen
oder ihn als Touristen besuchen, irgendwie in ihn
eindringen, sind auf sie angewiesen. Keiner wagt
sich ohne ein paar solcher Männer hinein.
Fahrlässig, ohne solch einen Spezialisten auch nur
einen Fuß ins Dschungelgrün zu setzen. Es könnt
sein, dass man nie mehr hinaus kommt. Ewig im
Kreis laufend, von der wilden Wildnis einfach
verschluckt wird. Am Salzverlust langsam zu
Grunde geht. Die Mateiros aber, das attestieren
ihnen alle, die auf sie angewiesen sind, scheinen
einen besonderen, einen zusätzlichen Sinn zu
besitzen. Sie geben die ihnen Anvertrauten
immer wieder unfehlbar und auf direktem Weg
der Zivilisation zurück.
Amazonien, ein Foto- und Lesebuch - Susanne Gerber-Barata 140