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Amazonien - ein Foto- und Lesebuch - Susanne Gerber-Barata

Foto- und Lesebuch über den brasilianischen Amazonas

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Maniok – die Vielfältige<br />

Wenn ich „Farinha“ höre, das Produkt aus<br />

Maniok, fällt mir immer wieder das lustig-listige<br />

Lied von Xanghai <strong>ein</strong>: „Se a farinha fosse<br />

americana ....,“ Wenn Farinha aus Amerika<br />

käme... . Ja, wenn die ach so lokale Farinha aus<br />

Amerika käme! Ja, dann bräuchte sie weder<br />

Werbung noch <strong>ein</strong>e eigene Musik! Alle würden ihr<br />

zujubeln, sie würde vor allem in Shoppings<br />

verkauft <strong>und</strong> viele würden lange Schlangen in<br />

Kauf nehmen, nur um sie zu genießen! Sie wäre<br />

so beliebt <strong>und</strong> begehrt wie Hamburger, Pizza oder<br />

Coca-Cola! Bekäme <strong>ein</strong>heitliche Qualitätsstandards,<br />

<strong>ein</strong>e Herkunftsbezeichnung <strong>und</strong> <strong>ein</strong><br />

Gütesiegel! Wäre <strong>ein</strong> Star, so ganz anders, als das<br />

Armeleute-Essen, als das sie heute gilt.<br />

Für viele Leute aus dem Amazons ist Farinha –<br />

noch! - viel wichtiger als Brot, <strong>ein</strong> wirkliches<br />

Gr<strong>und</strong>nahrungsmittel. Es gibt tausenderlei<br />

Farinhas, hellere, gelbere, gröbere, f<strong>ein</strong>ere, aber<br />

nur hier im Norden gibt es die leckeren,<br />

knackigeren oder knusprigen „Farinhas d’água“<br />

(Wassermehl, weil die Maniokwurzel im Wasser<br />

fermentiert). Auf allen Märkten werden sie offen<br />

in recycelten, seitlich herunter gerollten<br />

Mehlsäcken angeboten <strong>und</strong> jeder hat so s<strong>ein</strong>e<br />

Vorliebe. Wer kosten will, bevor er kauft, wirft<br />

sich mit drei Fingern etwas Farinha in den M<strong>und</strong>.<br />

Farinha passt <strong>ein</strong>fach zu allem. Reis <strong>und</strong> Bohnen,<br />

ohne Farinha? – Undenkbar! In sehr <strong>ein</strong>fachen<br />

Haushalten wird Farinha morgens in den Kaffee<br />

gerührt, zum Mittagessen zusammen mit Açaí<br />

aufgetischt <strong>und</strong> manche mögen die ultrasüßen<br />

Nachspeisen, gar Wassermelone nur zusammen<br />

mit Farinha. Oder wie man hier zu sagen pflegt -<br />

über Geschmack streitet man sich nicht, man kann<br />

ihn höchstens bedauern. Kenne allerdings k<strong>ein</strong>en,<br />

der <strong>ein</strong>er leckeren „Farofa com ovo“, <strong>ein</strong>er in<br />

Butter angerösteten, knusprigen Farinha mit<br />

zerpflücktem Ei widerstehen kann. Auch die<br />

„Mojica“, das klassische Restengericht, Fischreste,<br />

Fischabsud <strong>und</strong> viel Koriander, <strong>ein</strong>gedickt mit<br />

Farinha, kommt immer gut an. Wird die selbe<br />

Suppe mit Fleisch zubereitet, hat sie den<br />

w<strong>und</strong>erbaren Namen „Caldo de Caridade“ - Suppe<br />

der Nächstenliebe.<br />

Es gibt zwei Typen von Maniok, die Manihot<br />

esculenta <strong>und</strong> die Manihot utilissima. Aus beiden<br />

wird viel mehr als nur Farinha hergestellt. Beide<br />

stammen, wie der Mais <strong>und</strong> die Kartoffeln, aus<br />

Südamerika. Sie wurden seit Urzeiten von den<br />

indigenen Stämmen angebaut, veredelt verbessert<br />

<strong>und</strong> in immer neuen Varianten gezüchtet. Und die<br />

Sache noch komplexer zu machen, die Manihot<br />

esculenta, auch böse Maniok genannt, ist<br />

hochgiftig. Sie enthält tödliche Blausäure. Es war<br />

die indigene Bevölkerung, der es gelang, das Gift<br />

durch die unterschiedlichsten Verarbeitungsmethoden<br />

unschädlich zu machen.<br />

Eine der indigenen Lenden erzählt, woher die<br />

Maniok stammt. Die Maniokwurzel wuchs auf<br />

dem Grab <strong>ein</strong>es von <strong>ein</strong>em weißen Mann mit<br />

<strong>ein</strong>er India gezeugten Kindes, das, Frucht <strong>ein</strong>es<br />

Fehltrittes, der umgebracht <strong>und</strong> da begraben<br />

wurde. Ob es nun der Sünde oder der ihm<br />

nachgew<strong>ein</strong>ten bitteren Tränen zu verdanken ist,<br />

dass die Wurzel, die entstand, giftig wurde,<br />

darüber driften die Lenden allerdings<br />

aus<strong>ein</strong>ander. Wie auch immer. Die<br />

Maniokpflanze ist äußerst genügsam, was<br />

Bodenbeschaffenheit <strong>und</strong> Feuchtigkeit anbetrifft.<br />

Sie gedeiht ohne großen Aufwand <strong>und</strong> Pflege<br />

auch auf armen Böden. Die Maniokwurzel<br />

allerdings ist, <strong>ein</strong>mal geerntet, sehr leicht<br />

verderblich. Es gibt weiße <strong>und</strong> gelbe, gar<br />

butterweiche Varianten, jede mit eigenem<br />

Verwendungszweck. Die Urbevölkerung wandelt<br />

sie in die verschiedensten Produkte um. Es gibt<br />

Tucupi, pulverf<strong>ein</strong>e „Goma“ für die<br />

Tapiocafladen, knusprige Tapiocaflocken, die<br />

unterschiedlichsten Arten altmodischer „Beiju<br />

sicas“, trockenes amazonisches Knäckebrot <strong>und</strong><br />

natürlich die überaus nährstoffreiche Farinha,<br />

das Mehl. All diese Produkte halten sich<br />

monatelang frisch.<br />

Auch die Blätter der Maniokpflanze, auch die<br />

enthalten Blausäure, werden verwendet. Auf<br />

dem Ver-o-peso kann man die siebenfingrigen<br />

<strong>Amazonien</strong>, <strong>ein</strong> <strong>Foto</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lesebuch</strong> - <strong>Susanne</strong> <strong>Gerber</strong>-<strong>Barata</strong> 717

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