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Amazonien - ein Foto- und Lesebuch - Susanne Gerber-Barata

Foto- und Lesebuch über den brasilianischen Amazonas

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Obidos, die Kehle des Amazonas<br />

Das hinterste des amazonische Hinterland ist,<br />

noch, <strong>ein</strong>e andere Welt. Das bestätigt sich hier in<br />

Óbidos immer wieder. Ob es daran liegt, dass das<br />

propere Städtchen, eigentlich nur für s<strong>ein</strong>en<br />

Karneval berühmt, etwas mehr als <strong>ein</strong>tausend<br />

Kilometer von Belém entfernt, nur per Luft oder<br />

übers Wasser erreicht werden kann? Wie wäre´s<br />

mit <strong>ein</strong>em Lufttaxi? Der Flug soll atemberaubend<br />

s<strong>ein</strong>. Etwas weniger luxuriös ist die „Lancha“, <strong>ein</strong><br />

erst kürzlich in Betrieb genommenes schnelles<br />

Passagierboot. Die Reise von Santarém den<br />

Amazonas hoch dauert etwas drei St<strong>und</strong>en.<br />

Zum hiesigen, schlecht konservierten<br />

Kolonialstilcharme von Obidos gesellt sich <strong>ein</strong>e<br />

überraschende Fre<strong>und</strong>lichkeit <strong>und</strong><br />

Gastfre<strong>und</strong>schaft. Sie passt zum ländlich<br />

besinnlichen Lebensstil, der nicht nur des Klimas<br />

wegen sozusagen auf der Straße vor m<strong>ein</strong>en<br />

Augen abspielt. Hier hat k<strong>ein</strong>er Angst vor der<br />

sonst allgegenwärtigen Kriminalität. Türen <strong>und</strong><br />

Fenster, Gartentore <strong>und</strong> Garagenportale stehen<br />

hier fast immer weit <strong>und</strong> <strong>ein</strong>ladend offen. Die<br />

allgegenwärtigen Schaukelstühle mit den<br />

Sitzlehnen <strong>und</strong> Sitzen aus Plastikschnüren sind<br />

immer besetzt. Abends setzt sich die ganze<br />

Nachbarschaft auf die Schwelle oder den<br />

Bürgersteig. Genießt die abendliche Frisch, den<br />

leisen Wind. Die jüngeren Semester laufen, im<br />

Sportdress natürlich, viele Male um den riesigen,<br />

baum- <strong>und</strong> schattenlosen Dorfplatz, der nun von<br />

hohen, extrastarken Straßenlaternen erleuchtet,<br />

zum kollektiven Rummel- <strong>und</strong> Fußballplatz wird.<br />

Auch der Dorfjugend ist der Platz <strong>ein</strong>e<br />

willkommene Alternative zu den Laptops, MTV<br />

<strong>und</strong> Handys. Genieße alles sozusagen aus der<br />

Vogelperspektive. Die Bar macht sich die<br />

ungewöhnliche Topografie zu Nutze.<br />

Und ungewöhnlich ist die Topografie hier in<br />

mehrfacher Hinsicht. Kurz vor dem Ende der Fahrt<br />

auf dem endlos breiten, endlos grauschlammigen,<br />

endlos verzweigten Meeren des Amazonas,<br />

schieben sich die nie mehr als strichartigen, kaum<br />

baumhohen, immer mehr oder wenig fernen Ufer<br />

des Stroms von beiden Seiten her in weit<br />

ausholendem Bogen immer näher zusammen.<br />

Türmen sich auf der rechten Seite gar zu <strong>ein</strong>em<br />

weithin sichtbaren Hügelchen auf: Es ist die Kehle<br />

oder auch die Schnalle des Amazonas, s<strong>ein</strong>e<br />

schmalste <strong>und</strong> tiefste Stelle. Sie ist „nur“ 1.890<br />

Meter breit <strong>und</strong> ungewöhnlich tief, nämlich um<br />

die 75 Meter.<br />

Ein strategisch hochinteressanter Punkt, der halbe<br />

Hügel wird von den Wassern umspielt. So haben<br />

sich hier die Portugiesen schon 1697<strong>ein</strong> Fort<br />

errichtet, das bald auch zur Missionsstation von<br />

Franziskanermönchen wurde. Später wurde dann,<br />

im Zug der von Marques de Pombal angeordneten<br />

„Verportugiesierung“ des Amazonas aus dem<br />

Indiodorf mit Missionsstation die Stadt Óbidos, in<br />

Hommage an die gleichnamige Stadt in Portugal.<br />

Auch Reste von Kolonialarchitektur, mehr oder<br />

weniger gut erhalten, gibt es hier. Öffentliche<br />

Bauten wie das Rathaus mit s<strong>ein</strong>en<br />

handbemalten Kacheln, blau auf weißem Gr<strong>und</strong>,<br />

die markanten Fenster- <strong>und</strong> Türrahmen gelb<br />

abgehoben. Óbidos ist das Zentrum <strong>ein</strong>es<br />

Bezirks, verfügt damit über verschiedene<br />

staatliche Dienstleistungen wie das Amtsgericht.<br />

Es ist ausgerechnet der hiesige Staatsanwalt, der<br />

mir das Innere des Rathauses zeigt. Gabelt mich<br />

fotografierend vor der Tür auf. Kommt wohl<br />

gerade, es ist vielleicht halb zehn Uhr morgens,<br />

zur Arbeit. Nimmt mich, gastfre<strong>und</strong>lich wie alle<br />

hier, am Arm <strong>und</strong> bittet mich, hochentzückt über<br />

m<strong>ein</strong> Interesse an s<strong>ein</strong>em Rathaus, <strong>ein</strong>fach<br />

her<strong>ein</strong>. Er führt mich, die Beamten grüßen etwas<br />

verblüfft, durch die leider schon ziemlich<br />

verfremdeten Räume.<br />

Eine Verschnaufpause im <strong>ein</strong>fachen Hotel. Unter<br />

dem strengen Blick des sicher schon<br />

verblichenen Hausherrn werfe ich in der guten<br />

Stube auf dem Buffet mit den Kristallgläsern<br />

<strong>ein</strong>en neugierigen Blick ins Gästebuch. Ein Arzt.<br />

Ach ja, da gab‘s doch <strong>ein</strong>en Aushang im Hafen.<br />

Später wird es auch lautstark vom Werbeauto<br />

verkündet, das endlos s<strong>ein</strong>e Reihen zieht: Doktor<br />

Reginaldo, Augenarzt, ist am 8. Juli im<br />

Brillengeschäft „Boa Vista“ – „Gute Sicht“. Da<br />

<strong>Amazonien</strong>, <strong>ein</strong> <strong>Foto</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lesebuch</strong> - <strong>Susanne</strong> <strong>Gerber</strong>-<strong>Barata</strong> 938

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