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Amazonien - ein Foto- und Lesebuch - Susanne Gerber-Barata

Foto- und Lesebuch über den brasilianischen Amazonas

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Heute ist Farinha-Tag<br />

Im Hinterland weiß jeder, welcher Wochentag der<br />

Farinha-Tag ist. Hier in Obidos ist es der<br />

Donnerstag. Der Hausherr, hier geht der Mann<br />

des Hauses zu Markte, bestellt mich früh, am<br />

besten vor sieben, zum Marktbesuch, auch wenn<br />

die Markthalle sozusagen um die Ecke, drei<br />

Straßen abwärts Richtung Hafen liegt. Am Abend<br />

vorher, wir sitzen versammelt auf den betonen<br />

Treppenstufen vor dem Eckhaus, biegen immer<br />

wieder hochbeladene Lastwagen um die steil<br />

abfallende Kurve. Ganz oben auf den zu Bergen<br />

aufgetürmten Säcken liegen <strong>und</strong> sitzen auch<br />

immer <strong>ein</strong> paar Personen. Sie bringen ihre<br />

wöchentliche Farinhaproduktion in die große<br />

Stadt. Ein Teil davon wird direkt weiterverkauft,<br />

der riesige Rest geht nach Manaus, den Amazonas<br />

hoch. Was Eingeweihten klar ist, muss ich erst<br />

lernen. Je frischer, desto besser ist die Farinha.<br />

Und sozusagen vom Blech weg schmeckt sie<br />

nochmal so gut.<br />

Der frühe Morgen lässt die Tageshitze<br />

zwar ahnen. Die leise Brise macht die<br />

Atmosphäre aber noch erstaunlich angenehm.<br />

Unter <strong>ein</strong>em behelfsmäßigen Dach der Markt,<br />

ziemlich improvisiert. Ist, trotz der frühen St<strong>und</strong>e,<br />

schon in vollem Gange. Wie stumme Soldaten<br />

stehen die weißen, schritthohen Säcke in Reih<br />

<strong>und</strong> Glied. Die sorgsam herunter gerollten Ränder<br />

geben <strong>ein</strong>e Idee von Überfluss <strong>und</strong> Fülle. Oben<br />

auf dem fast überschwappenden Berg thront <strong>ein</strong><br />

Maßbecher, der “Liter”, stellt den Inhalt des<br />

Sackes zur Schau. Blütenweiße, staubf<strong>ein</strong>e Goma,<br />

kugelr<strong>und</strong> knackige Tapioca <strong>und</strong> überall, grob- <strong>und</strong><br />

f<strong>ein</strong>körnigere Farinhas, appetitlich eidottergelb<br />

oder cremefarben <strong>und</strong> bleicher warten auf<br />

K<strong>und</strong>en. Es gibt tausenderlei Typen, gröbere <strong>und</strong><br />

f<strong>ein</strong>ere, aber nur hier im Norden gibt es die<br />

leckeren, knackigeren oder knusprigen „Farinhas<br />

d’água“ (Wassermehl, weil die Maniokwurzel in<br />

fließendem Wasser fermentiert). Wer kosten will,<br />

bevor er kauft, steckt s<strong>ein</strong>e Hand in den gelben<br />

Hügel, nimmt sich mit drei Fingern etwas Farinha<br />

heraus <strong>und</strong> wirft es sich, was durchaus<br />

wortwörtlich zu verstehen ist, in den M<strong>und</strong>. Kaut<br />

<strong>und</strong> kostet <strong>und</strong> wenn es schmeckt, kauft er <strong>ein</strong>en<br />

Liter oder mehr davon, denn abgemessen wird in<br />

leeren Soyaöldosen. Willkommen sind sie alle,<br />

jeder hat so s<strong>ein</strong>e Vorlieben, aber immer davon im<br />

Haus, denn sie kommt fast zu jeder Mahlzeit auf<br />

den Tisch.<br />

Da es sich um <strong>ein</strong> echtes Gr<strong>und</strong>nahrungsmittel<br />

handelt, so wichtig wie Brot oder Kartoffeln in<br />

Europa, kaufen <strong>und</strong> verspeisen manche Familien<br />

mehrere Liter, <strong>ein</strong>en ganzen Sack Farinha pro<br />

Woche. Farinha kann monatelang gelagert<br />

werden, ohne s<strong>ein</strong>en Geschmack zu verändern.<br />

Wird so zum unverzichtbaren Gr<strong>und</strong>nahrungsmittel<br />

<strong>und</strong> der perfekte Reiseproviant.<br />

Probiere auch all die von anderen Märkten längst<br />

verschw<strong>und</strong>enen kl<strong>ein</strong>geschnittene Streifen aus<br />

Farinhafladen. Die dunklen Punkte lasse ich mich<br />

belehren, sind geriebene Paranusssprenkel. Halt<br />

<strong>und</strong> diese r<strong>und</strong>en Fladen da? Auch aus Farinha?<br />

Ja, das sind die trockenen Beijous, <strong>ein</strong>e Art<br />

luftgetrocknete, st<strong>ein</strong>harte Tapiocas, w<strong>und</strong>erbar<br />

säuerlich, die man monatelang aufbewahren<br />

kann. Beijou mole, weiche Beijous türmen sich,<br />

von <strong>ein</strong>em Plastik geschützt, daneben auf. Auch<br />

sie sind mit Paranüssen gesprenkelt. Auch “Pé de<br />

Moleque”, der Jungenfuß wird verkauft. Im<br />

Bananenblatt gebacken, wird er aus der Masse<br />

der vergorenen Maniok hergestellt. Das macht<br />

ihn w<strong>und</strong>erbar säuerlich. Flach, etwa fingerdick,<br />

die Oberfläche etwas glasig oder gummig, ist er<br />

deutlich weniger süß als die traditionellen<br />

Maniokkuchen. Letztere werden mit Kokosmilch<br />

hergestellt.<br />

Ich kaufe von allem. Der Hausherr greift nur <strong>ein</strong>,<br />

um zu garantieren, dass der Liter, das Schöpfgefäß,<br />

besonders bei den Beijous, “<strong>ein</strong>en<br />

großzügigen Kopf kriegt”, das heißt, so hoch <strong>und</strong><br />

voll geschöpft wird, dass k<strong>ein</strong> <strong>ein</strong>ziges Eckchen<br />

mehr r<strong>ein</strong> passt. Wupps dann <strong>ein</strong>fach in noch<br />

<strong>ein</strong>e weiße Plastiktüte gekippt. Zum Schluss noch<br />

<strong>ein</strong> paar hochzerbrechlicher Kekse, die es in allen<br />

Formen gibt, sie erinnern an kl<strong>ein</strong>e Kissen, dazu<br />

gesteckt. Am leckersten schmeckt die<br />

angenehme, delikate Säure der Beijous, die,<br />

obwohl stocktrocken <strong>und</strong> ungesalzen, eigenartig<br />

ihren Eigengeschmack wahren.<br />

<strong>Amazonien</strong>, <strong>ein</strong> <strong>Foto</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lesebuch</strong> - <strong>Susanne</strong> <strong>Gerber</strong>-<strong>Barata</strong> 725

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