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Amazonien - ein Foto- und Lesebuch - Susanne Gerber-Barata

Foto- und Lesebuch über den brasilianischen Amazonas

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Kräftemessen aus, <strong>ein</strong> Machtspiel. Die<br />

Hotelbesitzerin bangt nun schon um ihre<br />

Feriengäste, die ihre Reservierungen stornieren.<br />

Bis mir dann <strong>ein</strong>e banale Frage im Hand den Kopf<br />

vollends durch<strong>ein</strong>ander bringt. Jemand schreibt:<br />

„Wer wird denn nun eigentlich mit dem<br />

Bürgermeister sprechen, wenn er schlussendlich<br />

kommt?“ Die prompte Antwort ist kurz <strong>und</strong><br />

bündig: „As lideranças“. Die Leader. Upps. Da<br />

zieht sich der Knopf in m<strong>ein</strong>em Kopf noch mehr<br />

zu. Zuerst verbieten sie mir, zu kommen <strong>und</strong><br />

gehen wie ich will. Und nun gibt‘s gar Leader?<br />

Namenlose, gesichtslose Leader! Gehören sie zu<br />

<strong>ein</strong>er Partei? Welche Ideale haben sie? Wofür<br />

stehen <strong>und</strong> kämpfen sie? K<strong>ein</strong>er versteht m<strong>ein</strong>en<br />

Knopf im Kopf.<br />

Der Satz, <strong>ein</strong> zufällig hingeworfener Satz, fällt am<br />

nächsten Tag. Es ist <strong>ein</strong>e Gesprächsr<strong>und</strong>e mit den<br />

unterschiedlichsten Personen. –“Ja, später muss<br />

ich noch weg. Die „Liderança“, die mit dem Schiff<br />

kommt, ist verspätet.“ – Der Knopf im Kopf wird<br />

noch größer. Noch <strong>ein</strong>e namenlose, kopflose,<br />

identitätslose „liderança“. M<strong>ein</strong> Gesprächspartner<br />

kennt sie nicht, weiß nur, dass <strong>ein</strong> Leader<br />

unterwegs ist, von weit her, von den letzten<br />

indigenen Stämmen, die hier mithilfe verschiedener<br />

NGO um ihre Rechte kämpfen. Der selbe<br />

Gesprächspartner ist Ausländer. Arbeitet hier im<br />

Prol der Indigenen, finanziert mit <strong>ein</strong>em<br />

Stipendium der Nacional Geografic Society.<br />

Zum Schluss ist es <strong>ein</strong> gescheiter Anthropologe,<br />

der mir auf die Sprünge hilft. Wozu <strong>ein</strong>e <strong>ein</strong>fache<br />

Preiserhöhung <strong>ein</strong>er Buspassage doch gut ist….<br />

Hier s<strong>ein</strong>e Erklärung: Einzelnen Gruppen der<br />

indigenen Bevölkerung ist das Konzept der<br />

Leadership, <strong>ein</strong>es Leaders, <strong>ein</strong>es Chefs, fremd.<br />

Indigenen Gruppen haben k<strong>ein</strong>en Chef im Sinne,<br />

wie wir es verstehen. Je nach Situation wird aus<br />

dem Moment heraus <strong>ein</strong> Leader bestimmt. Im<br />

Kontakt mit den „Weißen“ zum Beispiel, kann es<br />

jemand s<strong>ein</strong>, der ihre Sprache spricht <strong>und</strong> versteht<br />

wie die ticken. Zudem gibt es noch das<br />

Sicherheitsrisiko. Zu viele Leaders, allen voran<br />

Chico Mendes <strong>und</strong> Irmão Dorothy Stang wurden<br />

hier gleich um die Ecke meuchelmörderisch<br />

gemordet. Das sitzt tief <strong>und</strong> viele ziehen deshalb<br />

die Anonymität vor. Es gibt auch geteilte<br />

Leadership, je nach Erfordernissen der Situation.<br />

Was hier nun teilweise zutrifft. Vielleicht ist es<br />

aber auch <strong>ein</strong>e clevere <strong>und</strong> freie Neuinterpretation,<br />

die die ganze komplexe Vergangenheit<br />

mit<strong>ein</strong>bezieht.<br />

Eine andere Facette m<strong>ein</strong>es Problems beleuchtet<br />

<strong>ein</strong> Artikel, der über das Phänomen spricht, dass<br />

die Brasilianer generell schlecht über ihre zivilen<br />

Rechte <strong>und</strong> Pflichten informiert sind. Es sch<strong>ein</strong>t<br />

mir glaubhaft, dass Gr<strong>und</strong>rechte <strong>und</strong> Politik<br />

verwechselt werden, verständlich in <strong>ein</strong>em Staat,<br />

der <strong>ein</strong>e sehr junge Demokratie hat. Aus bitterer,<br />

erlebter Erfahrung misstraut man hier dem Staat<br />

von Gr<strong>und</strong> auf. Bis die Idee, dass Brasilien <strong>ein</strong>e<br />

Demokratie ist, auch in den hintersten Winkel<br />

des Landes gedrungen ist, dauert es wohl noch<br />

etwas. Inzwischen bedient man sich bewährter,<br />

alter Strukturen.<br />

Ach, der Buspreis wurde nur <strong>ein</strong> wenig erhöht.<br />

Die Straße ist wieder frei <strong>und</strong> die Raubüberfälle<br />

konzentrieren sich nun auf den Linienbus oder<br />

das Postamt. Die guten alten Zeiten, wo alle ihre<br />

Haustüre Tag <strong>und</strong> Nacht offen ließen sind wohl<br />

auch hier gezählt. Die Gewaltspirale hat nun, wie<br />

zu erwarten, auch das Ende der Welt erreicht.<br />

<strong>Amazonien</strong>, <strong>ein</strong> <strong>Foto</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lesebuch</strong> - <strong>Susanne</strong> <strong>Gerber</strong>-<strong>Barata</strong> 420

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