Amazonien - ein Foto- und Lesebuch - Susanne Gerber-Barata

Padres Büchse
“Halt! Finger weg! Nein, nein, nein! ” – Sie ist
kategorisch! Probiert werden darf erst am
Geburtstagsfest. Die Versuchungen, eine köstlicher
als die andere, nicht weniger als sorgfältig
abgezählte 1.000 Stück winzigen Konfekts werden
hier, in einer ganz normalen Küche, unter
Einbezug der halben Länge des Wohnzimmertisches,
und damit direkt unter meiner begierigen
Nase, produziert.
Noch ein Blech kommt an. Der Inhalt der winzige
Förmchen ist delikat, zartbräunlich und krümelig.
Die feine Oberfläche von winzigen Luftblasen
aufgebrochen, mit einem feinen dunkleren Rand.
Der signalisiert, dass die “Nha Bentas” schon ganz
durchgebacken sind. Sogleich werden die
Förmchen, eins hinter dem anderen, umgestürzt.
Puh! Die sind aber heiß! Spitze Fingern stürzen
und klopfen die kleinen, süßen Dinger heraus,
direkt in eine Schale mit mittelfeinem Zucker.
Werden darin, noch immer fast dampfend heiß,
von geschickten, scheinbar hitzeunempfindlichen
Händen um und um gewälzt. Die Süße bildet ein
delikates Zuckerkrüstchen, das nur dann hält,
wenn man die Küchlein gleich nach dem Backen
dem süßen Prozedere unterwirft. Nun wird jedes
einzelne Biskuithügelchen in ein rosafarbenes
Papierförmchen, es ist ein Mädchengeburtstag,
gesetzt. Zum Schluss bekommt es noch eine
Rosine auf den Hintern geklebt. Schon werden
alle, total ausgekühlt, in die unzähligen, bereit
-stehenden Papierschachteln geschichtet.
Noch ein Trennpapier darüber und noch eine Lage
Biskuits obenauf.
Die Hälfte der Frauen des Clans und eine Hilfskraft
sind aufgeboten, alle bis spät in die Nacht in die
Produktion involviert. Denn die Liste der Sorten ist
lange. Schon wieder wird, Brille aufgesetzt, ein
neues Rezept nachgeschlagen, Zutaten
abgewogen, durchgerührt, Schüsseln ausgekratzt.
Der Ordner ist gut organisiert, alle Rezepte auf
einer Schreibmaschine getippt, fein säuberlich in
Plastiktüten gesteckt. So kann man auch mal mit
einem etwas klebrigen Finger die Seiten wenden,
ohne dass gleich eine Katastrophe geschieht. Den
vom vielen Bücken schon etwas steifen Rücken
aufs Neue durchgedrückt, das leichte Top
zurechtgerückt, und schon geht´s wieder los. Nun
sind die Maracujá-Rauten an der Reihe. Das feine
Biskuit bekommt einen dunkelorangen Guss,
dessen zuckrige Süße die Säure des Maracujásaftes
gut ausbalanciert. In kleine Rauten
geschnitten, bekommt auch davon jedes sein
papierenes Förmchen und mittendrauf eine
einzelne silberne Zuckerperle.
Die ganze Herstellung wird, nur die Hände sind
überaus emsig beschäftigt, mit viel Klatsch, Tratsch
und einigen launigen Kommentaren und
Erinnerungen angereichert. Hin und wieder
unterstreicht ein Löffel voller Füllung einen
besonders wichtigen Satz. Bleibt, kurze Sekunden
nur, untätig in der Luft stehen.
Für die mit Guavenpaste gefüllten “Rocamboles”,
winzige Biskuitrouladen, werden unzählige Lagen
Biskuitboden gebacken, gefüllt und noch heiß in
feine Röllchen gerollt. Aufgeschnitten enthüllen
sie ihre zweifarbene Schneckenform. Noch eine
neue Packung fein rosafarbener Papierförmchen
aufgerissen: Kleine rote Herzen auf rosa Grund.
Die Förmchen, eins nach dem anderen
auseinander gezupft, aufgereiht und nach und
nach, wie am Fließband, nun mit “Beijinhos” und
“Brigadeiros” gefüllt, beide mit üppigen
Kondensmilchbächen hergestellt. Weder
“Brigadeiros” noch “Beijinhos” dürfen bei einem
Kindergeburtstag fehlen. Erstere werden in
dunklen Schokostreußeln gewendet. Die
eigentlich weißen “Beijinhos” sind rosa
durchgefärbt. Ihre Form ist ganz untraditionell
birnenförmig. Sie werden zum Schluss nur in
Zucker und nicht in den obligaten Kokosflocken
gewendet. An Stelle des Fruchtstempels
bekommt jede einzelne eine Gewürznelke
gesteckt.
Sie sind, zusammen mit den schokoladigultrasüßen
“Brigadeiros” und den “Cajuzinhos”,
sogenannte Süßigkeiten aus dem Topf, denn sie
werden nicht gebacken, sondern die wenigen
Zutaten werden zusammen so lange eingekocht,
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