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Amazonien - ein Foto- und Lesebuch - Susanne Gerber-Barata

Foto- und Lesebuch über den brasilianischen Amazonas

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So was gibt´s hier nicht, m<strong>ein</strong> Sohn!<br />

Der Matriarchin der Familie, Gott sei ihrer Seele<br />

gnädig, lag der Spruch, wahlweise als<br />

willkommene Erklärung, wohlfeile Entschuldigung<br />

oder ganz <strong>ein</strong>fach als Ausrede, sozusagen auf der<br />

Zungenspitze: - „M<strong>ein</strong> Sohn, so was gibt´s hier<br />

doch nicht!“ – Ewig <strong>ein</strong>tönige Leier,<br />

praktischerweise immer dann herangezogen,<br />

wenn sie sich <strong>ein</strong> neues Pülverchen, dunkleres<br />

Brot, jene tolle Salbe oder <strong>ein</strong>en Tee zur besseren<br />

Verdauung besorgen sollte. Es waren hilflose<br />

Anstrengungen, um ihre ständigen Ges<strong>und</strong>heitsprobleme,<br />

<strong>ein</strong>ige fanden, sie seien eher<br />

hypochondrischer Natur, zu kurieren oder<br />

wenigstens zu lindern.<br />

<strong>Amazonien</strong> liegt nun mal am Ende der Welt!<br />

Deshalb wusste sie, ohne auch nur nachzufragen,<br />

<strong>ein</strong>fach aus purer Erfahrung, dass alle<br />

Neuigkeiten, Moden, Erneuerungen nur sehr<br />

zögerlich, wenn überhaupt, bis hier in den ach so<br />

abgelegenen Norden Brasiliens gelängen. Nicht<br />

von Ungefähr heißt der zwar etwas chaotische,<br />

aber überaus gut dotierte Laden an den Kais in<br />

Santarém, Ironie hin oder her, ganz schlicht <strong>und</strong><br />

<strong>ein</strong>fach „Fim do M<strong>und</strong>o“ - „Ende der Welt“! Fragt<br />

man den Besitzer nach der Wahl, weicht er aus.<br />

Die Geschichte sei zu komplex <strong>und</strong> zu lange, um<br />

wiedergegeben zu werden.<br />

Und um vom kl<strong>ein</strong>en aufs Große zu schließen: -<br />

„Aber du weißt doch, dass es das hier nicht gibt,<br />

m<strong>ein</strong> Sohn!“ – „Aber das weiß doch jeder, dass das<br />

hier nicht möglich ist, m<strong>ein</strong>e Liebe!“ - ist hier bis<br />

heute <strong>ein</strong> geflügelter lokaler Spruch. Nie habe ich<br />

<strong>ein</strong>e Region gesehen, wo es schwieriger war,<br />

etwas zu erreichen, etwas zum Funktionieren<br />

bringen, etwas zu Ende bringen. Es gibt<br />

Intellektuelle, die darin gar <strong>ein</strong>e Art Bauernschläue,<br />

<strong>ein</strong>e Revanche der ewig Unterlegenen<br />

sehen. Eine Auflehnung gegen all die von außen<br />

aufgezwungenen Anforderungen, Neuerungen.<br />

Der Spruch wird immer dann angewendet, wenn<br />

etwas unmöglich sch<strong>ein</strong>t, gar etwas Anstrengung<br />

verlangt oder sonst wie kompliziert ist. Plötzlich<br />

werden dann auch alle, auch die freiesten<br />

Freiberufler zu öffentlichen Angestellten. Angestellte<br />

von der Sorte, die jegliche Arbeit als riesiges<br />

Opfer, unzumutbare Zumutung ansehen. Für den<br />

Patriarchen oder ihre Familie würden sie zwar<br />

sofort <strong>und</strong> augenblicklich, aber für <strong>ein</strong>en<br />

Fremden....<br />

Sehr interessant <strong>und</strong> im Alltag oft ziemlich tricky,<br />

denn mit logischen Argumenten ist dieser Attitüde<br />

nicht beizukommen. Nur auf schlauen Umwegen<br />

oder mit rücksichtsloser patriarchalischer<br />

Autorität. Auch nicht jedermanns Sache. Aber<br />

vielleicht ist das halt der Preis, <strong>ein</strong>e Art Wegzoll,<br />

den es <strong>ein</strong>fach zu entrichten gilt. Im Gegenzug<br />

bekommt man all das, was das überaus<br />

fre<strong>und</strong>liche <strong>und</strong> bukolische Hinterland ausmacht.<br />

Unfreiwillig ironische wird es dann, wenn die<br />

selben Personen über die „Fünfte Welt“,<br />

wahrsch<strong>ein</strong>lich m<strong>ein</strong>te er die Dritte, herziehen, in<br />

der sie leben. Das schlecke k<strong>ein</strong>er weg -<br />

<strong>Amazonien</strong> haben sie sowieso vergessen, das<br />

liege am Arsch der Welt! Am liebsten morgen<br />

schon würde er fliehen, flüchten. Aus der selben<br />

Welt, in deren Rädchen er aber selbst jeden Tag<br />

<strong>ein</strong> wenig Sand streut.<br />

Wie auch immer. Brasilien, die Welt rückt<br />

zusammen. Und so wird wohl irgendwann auch<br />

das Vorurteil, dass alles, was auch Südbrasilien<br />

komme, oder noch besser importiert sei, nicht<br />

nur besser schmecke, billiger sei, von besserer<br />

Qualität, länger funktioniere <strong>und</strong> das in allen<br />

Bereichen. Und das, auch nur dann, wenn es<br />

überhaupt, siehe oben, bis hierherkommt.<br />

Kann dem nur immer wieder entgegenhalten: Ich<br />

hoffe, ich werde es noch erleben, dass auch in<br />

São Paulo oder im Ausland jemand die<br />

fantastischen lokalen Früchte <strong>und</strong> das<br />

unnachahmliche andere Essen entdeckt.<br />

Sozusagen den Spieß umdreht <strong>und</strong> hochnäsig<br />

sagt, dass der <strong>ein</strong>heimische Fisch ganz <strong>ein</strong>fach<br />

viel frischer <strong>und</strong> besser schmeckt, als die<br />

Mehrzahl der Fische in Südbrasilien oder auch in<br />

Europa. Ich weiß, noch hat fast k<strong>ein</strong>er, oder<br />

wollte fast k<strong>ein</strong>er das Potenzial erkennen, das<br />

logistische Problem, die fehlende Infrastruktur,<br />

<strong>Amazonien</strong>, <strong>ein</strong> <strong>Foto</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lesebuch</strong> - <strong>Susanne</strong> <strong>Gerber</strong>-<strong>Barata</strong> 498

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