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Amazonien - ein Foto- und Lesebuch - Susanne Gerber-Barata

Foto- und Lesebuch über den brasilianischen Amazonas

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Caboclos Haus<br />

Zuerst sehe ich nur den Wasserturm. Gleich<br />

neben den Anlegeplatz auf hohen Stelzen in den<br />

Schatten <strong>ein</strong>es riesigen Mangobaums gestellt.<br />

Parallel zum breiten Weg der Steg. Drei Bretter<br />

breit führt er gleich zum zurückgesetzten Haus. Es<br />

ist, wie alle hier, die Kirche, die Schule, das<br />

Gem<strong>ein</strong>schaftshaus, auf Stelzen gebaut,<br />

amazonische Pfahlbauten. Zu den Häusern führen<br />

Holztreppen, hohe Stege, zwei, drei Bretter breit,<br />

ganz ohne Geländer, lose hingelegt. Auch jetzt,<br />

wo die Wasser noch tief sind. Aber schon steigen<br />

sie, jeden Tag etwas mehr. Setzen langsam alles<br />

unter Wasser, auch da, wo jetzt angepflanzt ist,<br />

Maniok, die Stängel so dick wie m<strong>ein</strong> Handgelenk,<br />

Bananen, Papayas. Die Fluten, trübe <strong>und</strong> reich an<br />

Sedimenten, überschwemmen das Land hier in<br />

den „Várzeas“ den flachen Flussufern im Jahreszyklus.<br />

Wenn sie sich wieder zurückziehen, lassen<br />

sie extrem fruchtbare Erde zurück. Exotisch nur<br />

für den, der nicht daran gewöhnt <strong>und</strong> darauf<br />

<strong>ein</strong>gestellt ist.<br />

Die Holzhäuser sind farbig, türkis, himmlisches<br />

Blau, starkes Pink. Alle haben sie <strong>ein</strong>en<br />

Küchengarten, Kräuter, Stängelkohl, <strong>ein</strong> Strauch<br />

mit den obligaten Pfefferschötchen, klar, auch auf<br />

Stelzen. Die Dächer der Häuser sind flach <strong>und</strong> kurz<br />

<strong>und</strong> die Fenster quadratische Höhlen, fast wie<br />

Augen. Nachts werden sie mit hölzernen Läden<br />

verbarrikadiert. Die <strong>ein</strong>zelnen Zimmer, die<br />

Gem<strong>ein</strong>schaftsräume, die Toilette, oft etwas<br />

verwirrend angeordnet, sind durch Holzwände<br />

von<strong>ein</strong>ander abgeteilt. Dreiviertel hoch nur, so<br />

kann oben die tropische Luft ungehindert<br />

zirkulieren. Man sieht sich nicht, teilt aber jeden<br />

Seufzer oder Furz.<br />

Das Leben spielt sich auf den Varanden ab. Hier<br />

weht immer <strong>ein</strong> frischer Wind. Die Häuser, etwas<br />

zurückgesetzt ans Ufer des Flusses gebaut, sind<br />

von den wenigen Bauten hier im Amazonas, die<br />

perfekt ans Klima angepasst sind. Der kl<strong>ein</strong>ste<br />

Luftzug, <strong>ein</strong> etwas weniger heißer Schatten<br />

ersetzen die Klimaanlage. Die spartanischen<br />

Küchen, gut ventiliert auch sie, meist nicht viel<br />

mehr <strong>ein</strong>e <strong>ein</strong>zige, langgezogene Arbeitsfläche,<br />

ergänzt von <strong>ein</strong>em Tisch als Abstellmöglichkeit,<br />

überblicken die Wasser oder die frei laufenden<br />

Hühner. Speisereste <strong>und</strong> anderes werden so<br />

gleich schwungvoll dem Kreislauf zurückgegeben.<br />

Auch mit den immer gegenwärtigen Wassern weiß<br />

man umzugehen. Manche Bewohner haben als<br />

Alternative <strong>ein</strong> zweites Haus, Verwandte, die auf<br />

der „Terra firme“, auf der sozusagen „Festen Erde“<br />

leben. Farinha <strong>und</strong> andere Dinge werden<br />

normalerweise auch nicht hier hergestellt. Steigen<br />

die Wasser, noch <strong>ein</strong> wenig, <strong>und</strong> noch etwas,<br />

unvorhersehbar, ständig, die Klimaveränderungen<br />

machen sich auch hier bemerkbar, zieht man als<br />

letzte Maßnahme <strong>ein</strong>fach <strong>ein</strong>en zusätzlichen,<br />

provisorischen Boden <strong>ein</strong>, höher <strong>und</strong> noch etwas<br />

höher als der ursprüngliche. Stellt die Möbel hoch,<br />

noch höher. Jeden Tag reagiert auf das, was<br />

gerade kommt <strong>und</strong> wartet, bis die Wasser wieder<br />

fallen. Auch das Vieh wird auf immer höhere<br />

Landstriche getrieben, zum Schluss gar auf<br />

<strong>ein</strong>gezäunte Holzplattformen, auch sie auf<br />

Pfählen gebaut. Fallen die Wasser wieder,<br />

entledigt man sich der doppelten <strong>und</strong> dreifachen<br />

Böden. Man bessert die Treppen <strong>und</strong> Leitern aus,<br />

die nun bis zu den Wassern runter reichen <strong>und</strong><br />

beginnt <strong>ein</strong>en neuen, fruchtbaren Zyklus.<br />

<strong>Amazonien</strong>, <strong>ein</strong> <strong>Foto</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lesebuch</strong> - <strong>Susanne</strong> <strong>Gerber</strong>-<strong>Barata</strong> 377

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