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Amazonien - ein Foto- und Lesebuch - Susanne Gerber-Barata

Foto- und Lesebuch über den brasilianischen Amazonas

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Ekel, ganz privat<br />

Haben Sie den Witz vom Portugiesen, der fast zur<br />

Ente geworden wäre, schon gehört? Wie es<br />

soweit kam? Der badete doch, welches<br />

Missgeschick, in <strong>ein</strong>em <strong>ein</strong>zigen Jahr gleich<br />

zweimal: Das <strong>ein</strong>e Mal fiel er, k<strong>ein</strong>er wusste<br />

genau, wie das Unglück geschah, von der Brücke,<br />

direkt in den Sturzbach. Das zweite Mal wurde<br />

der gänzlich Unvorbereitete von <strong>ein</strong>em<br />

gewaltigen Tropenunwetter überrascht, das ihn<br />

bis auf die Haut durchnässte.<br />

Uralt <strong>und</strong> immer wieder gern erzählt, hat hier im<br />

Amazonas doch jeder schon mal von jenen eklig<br />

ungewaschenen Barbaren gehört, die, je nach<br />

Interpretation, bis heute lieber Parfüm benutzen<br />

als gutes, <strong>ein</strong>faches Wasser. Auch wenn der<br />

<strong>ein</strong>fache Mann, der uns, beileibe nicht persönlich<br />

nehmen, den Witz erzählt, selber wohl noch nie<br />

<strong>ein</strong>en nicht gerade gut riechenden Portugiesen zu<br />

Gesicht bekam, auch er nimmt, wie alle hier,<br />

Indioerbe, wie sie stolz bemerken, drei bis viermal<br />

am Tag heilig s<strong>ein</strong> Bad. Und baden oder besser<br />

duschen ist hier beileibe nicht gleich duschen. Da<br />

gibt es das „Banho de Português“, sozusagen fast<br />

wasserlos. Duscht man aus Zeitgründen nur sehr<br />

kurz, zum Beispiel, weil das Essen schon auf dem<br />

Tisch steht, wirft man sich etwas Wasser über -<br />

„Jogar uma água“, denn <strong>ein</strong> wirkliches, köstliches<br />

Bad kann sehr gut <strong>ein</strong>e Viertelst<strong>und</strong>e oder mehr<br />

dauern <strong>und</strong> verbraucht natürlich entsprechend<br />

viel Wasser. Kl<strong>ein</strong>es Detail: Privathaushalte<br />

verfügen in Brasiliens Norden normalerweise nur<br />

über fließend kaltes Wasser – es ist ja sonst schon<br />

heiß genug.<br />

Aber bringen wir es auf den Punkt: Duschen oder<br />

Baden ist für Europäer wohl eher <strong>ein</strong>e<br />

Notwendigkeit, <strong>ein</strong> Müssen, ganz anders für die<br />

Einheimischen. Es ist <strong>ein</strong> lebensnotwendiges<br />

Vergnügen, <strong>ein</strong> Recht, von dem sie oft mehrmals<br />

am Tag <strong>und</strong> sicher immer nach dem Aufstehen<br />

<strong>und</strong> vor dem Einschlafen Gebrauch machen;<br />

belebend, erfrischend, erneuernd oder interessanterweise<br />

beruhigend.<br />

Womit <strong>ein</strong>mal mehr bewiesen ist, wie kulturell<br />

Tabus, Hygienevorschriften, Ekel <strong>und</strong> Widerwillen<br />

sind. Religion <strong>und</strong> lokale Überlieferungen, von den<br />

Indigenen übernommen, vermischen sich hier im<br />

hohen Norden zu <strong>ein</strong>em hochinteressanten<br />

Cocktail, der von allen Gesellschaftsschichten<br />

respektiert wird. Besonders r<strong>und</strong> ums Essen gibt<br />

es <strong>ein</strong>e Reihe von Tabus. Hat man Fieber, soll man<br />

k<strong>ein</strong>e Mangos essen, schon gar k<strong>ein</strong>e Grünen.<br />

Jeder weiß von <strong>ein</strong>em Verwandten, der danach<br />

sogleich ins Krankenhaus <strong>ein</strong>geliefert wurde.<br />

Aber zurück zur Hygiene. Der selbe Mann, der den<br />

Witz mit dem Portugiesen erzählt, produziert in<br />

s<strong>ein</strong>em Hinterhof Farinha. Dabei hat er, wie es <strong>ein</strong>,<br />

ziemlich pingeliger K<strong>und</strong>e ironisch umschreibt,<br />

drei Gehilfen: <strong>ein</strong> frei herumlaufendes schwarzes<br />

Schw<strong>ein</strong>, das s<strong>ein</strong>e abgeflachte Nase selbstbewusst<br />

in alles steckt, <strong>ein</strong> kauziges Äffchen,<br />

dessen Schnur es ihm nicht erlaubt, viel weiter<br />

als auf das Dach des Farinhahauses zu klettern,<br />

wo es den Papagei trifft, der mit s<strong>ein</strong>en heiseren<br />

Schreien alle anfeuert. Dabei hat er die frei<br />

herumlaufenden Hühner <strong>und</strong> Enten gar nicht<br />

mitgezählt <strong>und</strong> auch nicht die verschiedenen<br />

räudigen Straßenköter, die es sich gerne unter<br />

den riesigen Wannen bequem machen.<br />

Gewöhnungsbedürftig ist auch der leere<br />

Schildkrötenpanzer, Schildkröten sind hoch<br />

geschützt, der Panzer hier dient als <strong>ein</strong>e Art<br />

Schaufel. Auch das Abwasser, das kloakig im<br />

Gr<strong>und</strong> versickert ist nicht gerade<br />

umweltfre<strong>und</strong>lich, genauso wie das, <strong>ein</strong>fach<br />

über´s Gitter geworfene, unansehnlich bleiche<br />

Stück Talg, mit dem die riesigen Wannen<br />

<strong>ein</strong>gerieben werden. Was für <strong>ein</strong> Trost, dass<br />

Farinha hoch erhitzt wird, was wohl alle Keime<br />

tötet. Sicher sind so gut wie alle auf dem Markt<br />

erhältlichen Farinhas irgendwie be<strong>ein</strong>trächtigt.<br />

Denn bis heute gibt es für solche handwerklich<br />

hergestellten Lebensmittel k<strong>ein</strong>e vorgeschriebene<br />

Standards. Die Ges<strong>und</strong>heitsinspektion<br />

generell ist recht prekär.<br />

Aber zurück zum Talg. Erst vor kurzem lernte ich,<br />

was „Sebo“, Talg, eigentlich ist. Kaufte, neugierig<br />

wie ich nun mal bin, <strong>ein</strong> Stück <strong>ein</strong>gesalzenes<br />

<strong>Amazonien</strong>, <strong>ein</strong> <strong>Foto</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lesebuch</strong> - <strong>Susanne</strong> <strong>Gerber</strong>-<strong>Barata</strong> 490

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