Amazonien - ein Foto- und Lesebuch - Susanne Gerber-Barata

Regelmäßig überflutet - dieVárzea
Besonders faszinierend sind die Várzeas, wenn die
Wasser ganz hoch gestiegen sind, die Böden der
Pfahlbauten von den Wassern geleckt werden
und das Vieh sich in kleinen Plattformen
zusammen pfercht, wenn es nicht sowieso dem
Schlachthaus verkauft wurde. Dann warten alle,
die Bewohner und das Vieh, dass die Wasser, so
wie jedes Jahr, einfach wieder sinken. Dann wird
es bald wieder die wundervoll altmodischen
Tomaten geben und oberarmdicke Maniokwurzeln.
Die Várzea ist das wohl am dichtesten bevölkerte
Ökosystem des Amazonas. Da, wo die Flüsse mit
wenig Gefälle fließen und der lehmige Boden zu
Zeiten der Hochwasser die überbordenden
Wassermassen der Weißwasser genannten Flüsse
nicht aufnimmt, setzen sie über weite Strecken
die Ufer unter Wasser. Es sind die trüben,
sedimentreichen Fluten des Amazonas und des
Solimões, die weite Striche der Ufer im
Jahreszyklus überfluten. Hier siedeln umtriebige
Kleinbauern, vielseitig haben sie sich an die
Gegebenheiten der Natur perfekt angepasst.
Neben der Landwirtschaft und Viehzucht fischen
sie auch und halten sich Fische wie Tambaqui in
schwimmenden Käfigen, die direkt im Fluss
dümpeln. Oder sie züchten, beschützt von hohen
Wällen in tiefen, künstlich ausgehobenen Teichen
den wertvollen Pirarucu. Fallen dann die Wasser,
beginnt das Pflanzen. Die Bauern machen sich die
natürlichen Gegebenheiten zunutze. Der Schlamm,
der von den sich zurückziehenden Wassern
zurückgelassen, ist extrem nährstoffreich, was die
Erden sehr fruchtbar macht. Bald schon wird der
lokale Markt mit frischen Produkten
überschwemmt werden. Die besten Tomaten,
herrlich altmodisch und wunderbar bauchig,
schrecklich verderblich aber unvergleichlich im
Geschmack, die winzigen Bohnen, die ihrem
Namen Butterbohnen alle Ehren machen und
ebenfalls butterzart, ein wunderbarer Käse,
“recozido”, hergestellt aus Rohmilch, die ohne Lab
fermentiert wird und dann in der Buttermilch
nochmals erhitzt wird.
Das Leben hier ist eher einsam. Die Häuser bilden
nur kleine Gruppen, aber mit dem Schiff ist man
schnell mal beim Nachbarn auf der anderen Seite
des Flusses oder in der Stadt. Da haben alle, wie
viele Hinterwäldler hier, eine zweite Bleibe, bei
Verwandten, wo auch die Kinder zur Schule gehen.
Genau das ist dem kleinen Jungen hier passiert. Es
ist ihm so schrecklich langweilig. Es ist keiner da,
um mit ihm zu spielen. Alle größeren Kinder sind in
der Stadt, in der Schule. Aber so ist das Leben hier
halt, dafür hat er andere Spielkameraden, gepelzte
oder gefiederte vielleicht, muss allerdings auch
mal bei der rauen Arbeit auf dem Feld mithelfen.
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