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Amazonien - ein Foto- und Lesebuch - Susanne Gerber-Barata

Foto- und Lesebuch über den brasilianischen Amazonas

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S<strong>ein</strong>e Majestät, der Aasgeier<br />

Die meterlange Würgeschlange, sie liegt tot am<br />

Strand, ignorieren sie. Zwei, drei Tage lang lassen<br />

sie sie, vielleicht aus Vorsicht, zur Abschreckung?<br />

liegen, obwohl sie gleich daneben ihre<br />

Schlafbäume haben. Dann, am dritten oder<br />

vierten Morgen sind nur <strong>ein</strong> paar <strong>ein</strong>zelne<br />

knöcherne Ringe von ihr übrig. Die Aasgeier,<br />

“Urubu” genannt, hier im Amazonas so<br />

allgegenwärtig wie unbeliebt, haben mal wieder<br />

ganze Arbeit geleistet. Unelegant sind nur ihre<br />

Hopser, dann, wenn sie sich unentschieden in<br />

seitlichem Krebsgang entfernen. Sie wahren<br />

respektvolle Distanz. All zu nah soll man ihnen<br />

nicht kommen. Heben sie dann aber ab, ihre<br />

Schwingen, deren Spitzen an geschlossene Hände<br />

erinnern, mit dem trockenen Knall <strong>ein</strong>es sich<br />

öffnenden Fächers aufschlagen, werden sie zu<br />

ihrer Majestät, dem Aasgeier. Segeln mühelos<br />

dahin, st<strong>und</strong>enlang, hoch in der Luft in weit<br />

ausgreifenden Kreisen, im Blick schon die nächste<br />

Müllhalde, das nächste Aas. Übersicht ist alles.<br />

Vorsichtig lassen sie sich auf <strong>ein</strong>em Mast oder<br />

<strong>ein</strong>er Straßenlaterne nieder. Ist k<strong>ein</strong> Futter in<br />

Sicht, segeln, kurven, ziehen sie weiter über die<br />

Himmel. Selten sind sie all<strong>ein</strong>e anzutreffen. Ihr<br />

charakteristische flacher Kopf endet in der<br />

geraden Linie des starken Schnabels, der jeden<br />

Knochen des Kadavers bricht.<br />

Besonders appetitlich sind sie, wenn sie, wie in<br />

der zentralen Markthalle, vom Drahtgitter auf das<br />

offenliegende Fleisch <strong>und</strong> die Käufer<br />

Herunter stieren. Wen w<strong>und</strong>ert´s, dass sie laut<br />

Volksm<strong>und</strong> Unglück bringen sollen, schwarz wie<br />

sie sind. Komischerweise sind sie aber, frisch<br />

geschlüpft, geheimnisvoll weiß!<br />

Wenigen sch<strong>ein</strong>t klar zu s<strong>ein</strong>, wie wichtig ihre<br />

“Arbeit” für das ökologische Gleichgewicht ist.<br />

Einige haben sich längst, ihr Territorium wird<br />

immer mehr <strong>ein</strong>geschränkt, auf den immer<br />

verfügbaren Hausmüll spezialisiert. Nicht mal die<br />

ingeniöse Mülltonne aus sechs r<strong>und</strong>en,<br />

ausrangierten Ventilatorengittern zu <strong>ein</strong>er Art<br />

surrealem Würfel zusammengeb<strong>und</strong>en, hält sie<br />

davon ab, die leckersten Dinge in den Abfallsäcken<br />

aufzuspüren <strong>und</strong> sich sogleich <strong>ein</strong>zuverleiben. Ja,<br />

die Mülltonnen. Viele stellen aus purer<br />

Bequemlichkeit die schlecht zusammengeb<strong>und</strong>enen,<br />

windigen Einkaufstüten voller Abfälle<br />

<strong>ein</strong>fach daneben. Eine Einladung an <strong>ein</strong><br />

unfehlbares Team aus Straßenkötern, viele haben<br />

<strong>ein</strong>en Besitzer, <strong>und</strong> den Aasgeiern. Ist die Nase der<br />

H<strong>und</strong>e nicht schlecht, ist der Geruchssinn der<br />

Aasgeier wohl unvorstellbar, übertroffen nur vom<br />

wahrhaft standhaften Rossmagen. Denn wo es<br />

Müll gibt, stoßen sie unfehlbar in ihrem eleganten<br />

Flug herunter.<br />

Im hintersten Hinterland ist das Zusammenleben<br />

mit den schwarzen Vögeln noch intimer. In so<br />

manchem sandig trostlosen Hinterhof tummeln<br />

sich zwischen glücklich frei laufenden Hühnern<br />

<strong>und</strong> Enten auch <strong>ein</strong> paar besonders schwarze<br />

Exemplare. Mischen sich zwischen ihre<br />

domestizierten Artgenossen, teilen sich die paar<br />

Obstbäumen <strong>und</strong> die runtergefallenen<br />

Kokosnüsse.<br />

Besser wohl nur der „Urubu Malandro“, sowas<br />

wie <strong>ein</strong> cleverer Tunichtgut, den Dona Onete, die<br />

große alte Dame des Carimbós, mit dem ihr<br />

eigenen Humor besingt. Sie schildert musikalisch,<br />

wie der clevere Hans-Dampf-in-allen-Gassen sich<br />

die allzeit zu jedem Flirt bereite, „Garça Namoradeira“,<br />

die flitterhafte Reiherin anlacht. Und<br />

wie ihm das nie erlahmende, etwas ordinäre<br />

Gewühl des „Ver-o-peso“, des zentralen Markts<br />

in Belém auf <strong>ein</strong>mal auf den Geist geht. Er wietete<br />

s<strong>ein</strong>e Kreise <strong>und</strong> versucht s<strong>ein</strong> Glück auf der<br />

Insel Marajó. In kurzer Zeit aber bereut er s<strong>ein</strong>en<br />

Ausflug. Marajó ist ihm viel zu beschaulich, ohne<br />

Betrieb, Getümmel <strong>und</strong> Abwechslung <strong>und</strong> so<br />

kehrt er reumütig mitten ins den „Pitiu“, sowas<br />

wie <strong>ein</strong> stinkendes Getümmel zurück. Da<br />

erkämpft er sich immer <strong>ein</strong>en Happen.<br />

<strong>Amazonien</strong>, <strong>ein</strong> <strong>Foto</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lesebuch</strong> - <strong>Susanne</strong> <strong>Gerber</strong>-<strong>Barata</strong> 246

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