Amazonien - ein Foto- und Lesebuch - Susanne Gerber-Barata

Seine Majestät der Buritizeiro
Jede Frucht ein kleines Kunstwerk, Frucht für
Frucht ein kleiner, kostbar lackierter, chinesischer
Handschmeichler. Oval, von der Größe einer
Tomate, erinnern die Früchte des Buritizeiros mit
ihren eng stehenden, glänzenden Schuppen, eine
wundersam über die andere gelegt, an den
Panzer eines vorsintflutlichen Fisches oder einer
trocken glänzenden Echse. Darunter verbirgt sich
das tieforange, ölige Fruchtfleisch, das essbar ist.
Daraus wird nicht nur Brei gekocht, sondern es
wird auch zu einer süßen, köstlich säuerlichen
schnittfesten Paste eingekocht. Die Paste wird in
Holzkästchen verkauft, die aus den sehr leichten,
gut formbaren Mittelrippen der Buritiwedel
geschnitzt sind. Aus dem selben Material ensteht
auch das bunte Spielzeug, das traditionellerweise
zum Cirio in Belém angeboten wird. Die Kinder
lieben vor allem die kleinen, naturgetreu
nachgeschnitzten Schiffchen, die wirklich lustig
davon schwimmen.
Es gibt ungezählte Palmenarten in Brasilien, eine
majestätischer als die andere. Ihre silbergrauen
Stämme sind hoch aufgeschossenen, Ring hinter
fein gezeichnetem oder wulstigem Ring
hochgezogen. Ganz oben die Fächerblätter,
Blattkronen, deren Wedel sich langsam, sehr
langsam nach unten senken, welken, irgendwann
einen neuen Ring freilegen. Je majestätischer die
Palme, desto riesiger die Blätter. Jede Palme hat
ein anderes Format, ein anders geformtes Blatt.
Manche fransen sich von der starken Mittelrippe
aus auf, andere wie der Buriti haben vollrunde
Wedel auf langstielig federnde Rispen gesteckt, die
sich aus dem Stamm erheben. Sie fächern sich
elegant und immerzu in Bewegung von einem
zentralen Punkt aus auf, drei Dutzend nervös runde
Tuffs, wie die von amerikanischen Cheerleaders,
beim leisesten Luftzug von unzähligen Armen
geschüttelt. Im Gegenlicht der fallenden Sonne
erinnern sie an sorgfältig aufgetürmte Locken, Tuff
hinter Tuff sorgsam hingepüschelt. Da, wo die
Wedel sich zum Stamm verbinden, sprießen an lang
gezogenen Trauben die kastanienbrauen Früchte.
Viele Palmen mögen den Strand, das Wasser. Der
Buritizeiro mag es, seine Füße, Pardon Wurzeln, zu
baden. Er gedeiht am besten an den Ufern von
Igarapés, kleinen Flüssen und Sümpfen, wo er
kleine, lockere Wäldchen bildet. Seine malerischen
Fächer in fast schwarzem Grün spiegeln sich
zusammen mit den stahlblauen Himmeln und den
Watteschönwetterwolken in den stillen
amazonischen Waldseen.
Ein Bild, das ich mir mitnehme. In der Erinnerung
winken mir die Tuffs, im Gegenlicht schwarz wie
dramatische Scherenschnitte, vom heißen Hauch
einer Brise geschüttelt, ein letztes Adeus zu.
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