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Amazonien - ein Foto- und Lesebuch - Susanne Gerber-Barata

Foto- und Lesebuch über den brasilianischen Amazonas

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traditionellen Sommergästen auch andere, wie<br />

die, die man hier nicht eben fre<strong>und</strong>lich<br />

„Farofeiros“ nennt, was sich so etwa mit<br />

Eintagestouristen übersetzten lässt. Die bringen,<br />

die Ökonomien sind knapp, Restaurants sind im<br />

schmalen Budget nicht vorgesehen, ihr Essen,<br />

eben die „Farofa“, auch gleich selber mit. So ist<br />

nun der elitäre verschlafene Sommerkurort der<br />

lokalen Reichen zu <strong>ein</strong>er Stadt wie viele andere im<br />

Landesinnern geworden, modern <strong>und</strong> etwas<br />

gesichtslos. Auch die berühmten Tapioqueiras<br />

wurden von den Neuerungen nicht verschont <strong>und</strong><br />

bekamen von der Stadtregierung Einheitsstände<br />

verpasst, sodass sie sich nur noch durch die<br />

Namensschilder der Köchinnen unterscheiden.<br />

Die andere Errungenschaft ist, dass es heute an<br />

den traditionellerweise von Frauen betriebenen<br />

Ständen auch Männer gibt, die die Hände in die<br />

weißen vorbereiteten Massen, die „Goma“<br />

versenken, das Feuer unter der Pfanne regulieren,<br />

den fertig gebratenen <strong>und</strong> gewendeten<br />

Pfannkuchen mit Kokosmilch tränken. Die<br />

Veränderung kann nur zwei Ursachen haben.<br />

Entweder wirft der kl<strong>ein</strong>e Kommerz soviel ab,<br />

dass auch <strong>ein</strong>e Familie davon leben kann, oder die<br />

Armut <strong>und</strong> Arbeitslosigkeit ist so groß, dass auch<br />

Männer diese Jobs akzeptieren müssen.<br />

Wie auch immer – die Tapiocas verdanken wir der<br />

indigenen Bevölkerung die schon vor ca. 12.000<br />

Jahren, lange vor der Ankunft der Portugiesen,<br />

hier in dieser Region des Amazonas lebten. Hier<br />

auf Mosqueiro lebte der Stamm der Tuinambás,<br />

deren Kultur sich durch ihr Nähe zur Natur<br />

auszeichnete. Als sich dann die Portugiesen das<br />

Land untertan machten <strong>und</strong> ihren „Besitz“ via<br />

„Seismarias“ (Schenkung <strong>ein</strong>es Gr<strong>und</strong>stückes<br />

durch die Krone) absicherten, siedelte sich hier am<br />

06. Dezember 1746 als <strong>ein</strong>er der Ersten <strong>ein</strong> Padre<br />

Antônio da Silva an. S<strong>ein</strong>e Nachkommen bauten<br />

den Besitz mit Hilfe afrikanischer Sklaven zu <strong>ein</strong>em<br />

florierenden Bauerngut aus. 1886 erfolgte dann<br />

die Gründung der Stadt Mosqueiro, die<br />

jahrh<strong>und</strong>ertelang bis zur Belle Époque <strong>ein</strong><br />

ländliches Das<strong>ein</strong> fristete <strong>und</strong> von der Produktion<br />

von Lebensmitteln für die Stadt Belém lebte.<br />

Am Ende des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts wurden die Inseln<br />

<strong>und</strong> Mosqueiro mit ihren dunklen Sandstränden<br />

von jenen Ausländern entdeckt, die der<br />

Kautschukboom <strong>und</strong> andere Güter hierhergelockt<br />

hatten. Ihnen gefielen die lang gezogenen<br />

Flussstände, die mit ihrem zwar trüben, aber<br />

süßen Wasser ideal für stille, stilvolle<br />

Sommerfrischen waren. Bald hatten die Lochards,<br />

Ponteds, Smiths, Uptons, Kaulfuss <strong>und</strong> Arouchs,<br />

die im Privatboot ankamen, an privaten<br />

Bootsstegen landeten, hier alle ihr Wochenendhaus,<br />

fern der Stadt <strong>und</strong> brachten damit <strong>ein</strong> Stück<br />

Europa in den Amazonas. Bald folgten ihnen die<br />

vermögenderen Familien Beléms <strong>und</strong> nach kurzer<br />

Zeit besiedelten immer mehr Chalés <strong>und</strong><br />

Bungalows den Sommerkurort. Die schmucken<br />

Häuschen <strong>und</strong> Bungalows aus lokalem Acapú<br />

holz wurden fast alle im eklektischen <strong>und</strong><br />

modernistischen Stil gebaut. Inspirieren sich an<br />

den Chalés der Schweizer Alpen oder des<br />

Schwarzwaldes, den sie kunstvoll in tausenderlei<br />

Varianten variieren. Typisch ist das reich<br />

geschnitzte Filigran im besten Zuckerbäckerstil,<br />

gar dem Hexenhaus von Hänsel <strong>und</strong> Gretel<br />

abgeschaut. Dazu kommen verschnörkelte<br />

Veranden, Balkönchen, Treppenaufgänge,<br />

Nischen <strong>und</strong> Vorsprünge, Girlanden, hölzernes<br />

Zierwerk <strong>und</strong> viele <strong>und</strong> noch mehr Ornamente,<br />

immer dekorativ verspielt, zierlich gearbeitet,<br />

Zierart, angemalt in markanten Farben, wie es<br />

die Mode der amazonischen Belle Époque wollte.<br />

Die schmucken Sommerhäuschen erhielten die<br />

passenden Namen: „Sissi“ oder „Villa Flora.<br />

Heute trifft man nur noch das <strong>ein</strong>e oder andere<br />

Haus in gutem Zustand. Die meisten sind<br />

dekadent <strong>und</strong> verlassen, die Bemalung splittert<br />

<strong>und</strong> von innen nagen die Termiten – lange schon<br />

ist her, seit Mosqueiro als schick galt. Heute zieht<br />

die lokale Elite die weitläufigen Strände des<br />

Ozeans in Salinas vor, <strong>ein</strong> paar Autost<strong>und</strong>en nur,<br />

um Sommerfrischen zu verbringen oder <strong>ein</strong><br />

Wochenende.<br />

Schau, sie ist aufgestanden! Gerne begleite ich<br />

<strong>Amazonien</strong>, <strong>ein</strong> <strong>Foto</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lesebuch</strong> - <strong>Susanne</strong> <strong>Gerber</strong>-<strong>Barata</strong> 661

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