Amazonien - ein Foto- und Lesebuch - Susanne Gerber-Barata

Von Handelsreisenden und Hausierern
Kenne sie nur aus nostalgischen Erzählungen.
Aber im abgelegenen Hinterland gibt es sie bis
heute. Der „Regatão“ oder „Mascate“, ein
schwimmender Krämerladen/Hausierer/
Postbote/Nachrichten- und Bestellungen-
Überbringer, der natürlich per Boot überall, oder
wenigstens fast überall hinkommt.
Seine Waren sind ein wichtiger Teil des Geschäfts.
Aber fast noch wichtiger ist seine Kunst. Die Kunst
den eintönigen amazonischen Alltag mit ein paar
Farbklecksen zu unterbrechen, aufzuhellen, gar zu
verzaubern. Die Kunst, einen Hauch der großen,
weiten Traumwelt da draußen in die hinterste
Hinterstube im Norden zu bringen. Streicheleinheiten
für die Seele, Komfort für den Körper.
Glitzer, Glamour in Form von billigen Stoffen und
Kleidchen und etwas zu grellem Schmuck, billige,
etwas ordinäre Parfüms, Lippenstifte, wohlriechende
Seifen und ein paar leckere
Süßigkeiten.
Wer in der Stadt wohnte, zu dem kam der
„Caixeiro viajante“, ein Hausierer in Düften,
spezialisiert auf Parfümrohprodukte. Es war
Brauch, sich neben ein paar Tinkturen für die
Hausapotheke auch das eigene Parfüm selber
herzustellen. Stelle mir vor, wie das clever
charmante Männchen mit seinem Bauchladen vor
der Haustür in die Hände klatscht. In die gute
Stube gebeten, den Bauchladen mitten auf den
Tisch wuchtet. Langsam, kein magischer Moment
darf vergeudet werden, es gilt eine Zeremonie zu
vollführen, öffnet sich die Kladde in Zeitlupe.
Augenblicke genug, damit sich die geheimnisvolle
Duftwolke im Raum ausbreiten kann. Ein
unwiderstehlich geheimnisvoller Geruch, bitterfaulig-würzig.
Noch eine Seite des Kastens
runtergeklappt bis endlich der fleckig-grüne Samt
sichtbar wird, mit dem die Kladde ausgelegt ist.
Effektvoll sinnlicher Hinter- und Untergrund für
unzählige Fläschchen, Döschen und Röhrchen, die
alles enthalten, was man zur hauseigenen Parfümproduktion
braucht.
Viele der unterschiedlichsten, wohlriechenden
Ingredienzen, Tinkturen, Öle, Harze, Samen
stammen aus dem Amazonas. Reiht dann
Fläschchen neben Fläschchen, so dass die
Flüssigkeiten in allen Farben gut zur Geltung
kommen, die einen dicklich, die anderen ölig oder
wässrig, den Inhalt des einen oder anderen
aufschüttelt, einem hier an einem Fläschchen
riechen lässt, ein anderes schüttelt, um seinen
Geruch noch betäubender zu machen, da ein
Tröpfchen voller Geheimnisse zerreibt. Die Nasen
mit zwischen zwei Fingern verriebenem Pulvern
oder Ölen in Versuchung führt und nie mit leeren
Händen davon geht.
Der Hausherr höchstpersönlich erneuert seine
Reserven. Ingredienzen, aus denen er seine
persönlichen Duftwasser, die „Águas de Cheiro“
zusammenbraut, wie es die Tradition will. Gibt ein
paar bittermandlige „Cumarusamen“ ins Glas,
Späne der Rinde des „Macacaporangabaumes“,
leicht, zitrig, und betörend-sinnliches Patschuli,
faulig und exotisch. Lässt alles in Alkohol gut
durchziehen, in der Sonne oder in strengster
Dunkelheit, um nach der richtig bemessenen Zeit
sich dann jeden Tag nach jedem der
verschiedenen tagtäglichen Bäder üppig damit zu
parfümieren.
Bis heute kann man die nach alten Rezepten
nachproduzierten, grünlich transparenten Düfte,
in denen echte Wurzeln und Samen schwimmen,
finden. Duftwasser, die ihre Parfüms wie früher
aus dem amazonischen Regenwald extrahieren,
und helfen eine ganze lokale Kultur zu bewahren.
Auch wenn sie nicht mehr vom Hausierer, sondern
aus dem Shopping stammen.
Amazonien, ein Foto- und Lesebuch - Susanne Gerber-Barata 801