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Amazonien - ein Foto- und Lesebuch - Susanne Gerber-Barata

Foto- und Lesebuch über den brasilianischen Amazonas

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Se vira! – Hilf dir selbst!<br />

Eine Putzfrau gesucht oder jemand, der das Gras<br />

schneidet? Ein Freilaufhuhn gefällig oder <strong>ein</strong><br />

gegrillter Fisch? Auch <strong>ein</strong> Haus oder <strong>ein</strong>e<br />

Betonmischmaschine kann man mieten.<br />

Ein kl<strong>ein</strong>es Panorama, womit man sich hier etwas<br />

Kl<strong>ein</strong>geld, <strong>ein</strong>en Zustupf verdienen kann. Viele<br />

andere Möglichkeiten, Ende Monat die<br />

Rechnungen zu bezahlen gibt es nicht. Denn nicht<br />

alle können auf der Gem<strong>ein</strong>de arbeiten, sind<br />

schon im Rentenalter oder bekommen <strong>ein</strong>e<br />

Unterstützung der Regierung wie die „Bolsa<br />

Família“. Der Staat oder die öffentliche<br />

Verwaltung sind in vielen Staaten des Amazonas<br />

<strong>ein</strong>er der wichtigsten Arbeitgeber, mit Gehältern,<br />

die besonders im Bereich der Justiz weit über<br />

dem Durchschnitt liegen. Im Staate Roraima sind<br />

mehr als die Hälfte aller registrierten Angestellten<br />

beim Staat angestellt, in Acre <strong>und</strong> Amapá etwas<br />

mehr als 40 %, in Tocantins <strong>und</strong> Rondônia knapp<br />

30 %. Parintins, die Stadt, die eigentlich für s<strong>ein</strong><br />

Festival der Bois bekannt ist, hat über 60 % s<strong>ein</strong>er<br />

offiziell registrierten Angestellten im öffentlichen<br />

Dienst, gefolgt von Cametá, Boa Vista <strong>und</strong> auch in<br />

Belém sind mehr als <strong>ein</strong> Drittel Staatsangestellte.<br />

Pikantes Detail – Staatsangestellte arbeiten hier<br />

nur von 7h00 bis 13h00. Wenn man Pech hat,<br />

öffnet <strong>und</strong> schließt auch das Museum oder der<br />

Stadtpark zu genau diesen Zeiten. Wem es nicht<br />

gelingt, aus diesen Pfründen zu schöpfen, ist<br />

doppelt bestraft.<br />

Im Norden Brasiliens liegt der Anteil der Arbeiter<br />

<strong>und</strong> Angestellten, die alle gesetzlich<br />

vorgeschriebenen Rechte <strong>und</strong> Pflichten haben <strong>und</strong><br />

bezahlen, also rechtsgültig registriert sind, weit<br />

unter dem schon tiefen brasilianischen<br />

Durchschnitt. Sie erreicht in der Hälfte der<br />

Gem<strong>ein</strong>den nicht mal 10 % des ökonomisch<br />

aktiven Bevölkerungsanteils <strong>und</strong> ist in k<strong>ein</strong>er der<br />

Gem<strong>ein</strong>den höher als 50 % hoch. Der große,<br />

vergessene Rest schlägt sich mehr <strong>und</strong> oft weniger<br />

als recht in der Informalität durch.<br />

Etwas verkaufen, <strong>ein</strong>e Dienstleistung anbieten,<br />

<strong>ein</strong>e kl<strong>ein</strong>e Garküche aufmachen, sich s<strong>ein</strong>e<br />

Fitnessakademie selber zimmern oder das<br />

fließende Wasser des Flusses nutzen – in <strong>ein</strong>er<br />

Gesellschaft, in der die Underdogs wohl erst seit<br />

dem Ende der Militärdiktatur zu begreifen<br />

beginnen, dass auch sie brasilianische Staatsbürger<br />

mit Rechten <strong>und</strong> Pflichten sind, migriert man oder<br />

lernt, sich zu organisieren, sich selbst zu helfen<br />

oder auf Portugiesisch: „se vira“! „Hilf dir selbst!“<br />

Und das geht, wie man sehen kann, mit sehr viel<br />

Kreativität <strong>und</strong> dem unverwechselbaren Humor<br />

noch viel besser!<br />

Unbekanntes Hinterland<br />

Die lokale Zeitung ist in drei Teile unterteilt. Die<br />

tragen die Titel: “Poder”, Macht, “Policia”, Polizei<br />

<strong>und</strong> “Magazine”, Gesellschaftsklatsch. Ein anderes<br />

Blatt ist schwarz-weiß, fast ganz ohne <strong>Foto</strong>s <strong>und</strong><br />

die Mehrheit der Reportagen ist mindestens <strong>ein</strong>e<br />

Seite lang, nicht mal schlecht geschrieben <strong>und</strong> gut<br />

recherchiert. Ob hier die Leute noch Zeitung<br />

lesen?<br />

Treffen sich Familien <strong>und</strong> Bekannte, so werden<br />

nicht nur alle Älteren respektvoll <strong>und</strong> automatisch<br />

gesiezt, auch Vater <strong>und</strong> Mutter. Noch<br />

altmodischer bitten die jüngeren den Segen der<br />

älteren. Dabei führt man die Hand des zu<br />

Begrüßenden zum M<strong>und</strong> <strong>und</strong> küsst ihm den<br />

Ringfinger. - Unbekanntes Hinterland.<br />

<strong>Amazonien</strong>, <strong>ein</strong> <strong>Foto</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lesebuch</strong> - <strong>Susanne</strong> <strong>Gerber</strong>-<strong>Barata</strong> 919

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