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Amazonien - ein Foto- und Lesebuch - Susanne Gerber-Barata

Foto- und Lesebuch über den brasilianischen Amazonas

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Von der Paranuss bis zum Kumarin - die «Drogas do Sertão»<br />

Wenn Sie sich gleich <strong>ein</strong>e Paranuss knacken,<br />

Kakao trinken oder ihr Parfüm nach Bittermandel<br />

<strong>und</strong> Vanille riecht, so konsumieren Sie, kaum<br />

<strong>ein</strong>er käme so ohne weiteres darauf, indirekt drei<br />

historische «Drogas do Sertão», drei bis heute<br />

populäre brasilianische Rohmaterialien <strong>und</strong><br />

Exportgüter aus dem Amazonas. Paranüsse<br />

werden, wie immer schon, bis heute im System<br />

des Extrativismus von Underdogs aus den<br />

amazonischen Tropenwäldern gebuckelt. Zwar<br />

hat Bolivien Brasilien längst puncto Produktivität<br />

überholt. Trotzdem hat die Paranuss ihren Platz in<br />

Brasiliens Exportstatistik, zählt zu jenen<br />

Nischenprodukten, die sich weder bei den<br />

Bodenschätzen noch bei der Holzproduktion<br />

<strong>ein</strong>ordnen lassen. Auch der Kakao stammt aus<br />

dem Amazonas, wo er heute wieder sehr<br />

erfolgreich <strong>und</strong> in ausgezeichneter Qualität<br />

angebaut wird. Hipe ist gerade wilder Kakao, der<br />

ganz neue, unerwartete Geschmacksnuancen<br />

bringt <strong>und</strong> nur in sehr kl<strong>ein</strong>en Mengen verkauft<br />

wird.<br />

Auch die Tonkabohne taucht in der selben<br />

Statistik auf. Die Produktion der Tonkabohnen,<br />

neuerdings wieder für Desserts <strong>und</strong> anderes<br />

wiederentdeckt, ist allerdings weniger archaisch.<br />

Tonkabaumholz ist <strong>ein</strong> sehr begehrtes Edelholz,<br />

extrem resistent <strong>und</strong> s<strong>ein</strong> dunkler Braunton ist<br />

gerade in Mode. Tonkabäume werden deshalb<br />

auch schon in Plantagen angebaut. Und da<br />

werden auch die kl<strong>ein</strong>en schwarzen Bohnen mit<br />

dem betörenden Aroma geerntet. Ganz gewitzte<br />

Produzenten machen sich gar die Fledermäuse zu<br />

Komplizen. Die lieben die leicht süßliche Schale<br />

der Hülle, die die Tonkabohne umschließt. Dazu<br />

muss man nur <strong>ein</strong> paar Körbe kopfüber in die<br />

Bäume hängen. Dahin<strong>ein</strong> ziehen sich die<br />

Fledermäuse zum Schlafen zurück. Nehmen sich<br />

aber vorher als Leckerbissen <strong>ein</strong>e Tonkafrucht mit.<br />

Die nagen sie dann säuberlich ab, um sie dann<br />

<strong>ein</strong>fach, gleich da unter dem Korb, zu entsorgen.<br />

Da muss man die Früchte dann nur noch<br />

zusammen lesen.<br />

Der chemische Stoff, der für den Duft verantwortlich<br />

ist, heißt Cumarin. Cumarin <strong>und</strong> s<strong>ein</strong><br />

eigentümlicher, angenehm würziger Geruch gilt als<br />

wichtiger Duft- <strong>und</strong> Fixationsstoff in der Kosmetik<strong>und</strong><br />

Parfümindustrie. Allerdings wird es wird<br />

heutzutage mehrheitlich synthetisch hergestellt.<br />

Der Verdienst kommt dem <strong>ein</strong>em Münchner<br />

Chemiker, August Vogel zu, der den Wirkstoff<br />

erstmals 1813 isolierte. 1820 erkannte es der<br />

Franzose Jean-Baptiste-Gaston Guibourtc dann als<br />

eigene Substanz, was es möglich machte, es<br />

synthetisch nachzubauen.<br />

Noch <strong>ein</strong> anderes Beispiel ist Urucum. Auf jedem<br />

lokalen Markt ist das rote Pulver zu finden. Es wird<br />

aus den Samen des Urucuzeiros gewonnen, <strong>und</strong><br />

k<strong>ein</strong>e lokale Köchin verzichtet darauf. Erst<br />

«Urucum», als Pulver dann «Colorau» genannt,<br />

gibt dem ach so bleichen Hähnchen <strong>und</strong> dem<br />

schrecklich blassen Fisch die richtige appetitlich<br />

rötliche Farbe. Die indigene Bevölkerung mischt<br />

sich damit ihre Körperbemalung an. Im Rest der<br />

Welt ist «Urucum» <strong>ein</strong>er der zugelassenen<br />

Lebensmittelfarbstoffe, die Butter, Käse <strong>und</strong> was<br />

weiß ich noch appetitlich rot-orange färben.<br />

Das alles wirft <strong>ein</strong> neues Licht auf den Amazonas,<br />

der heute mehrheitlich als grüne Lunge, als<br />

wildes, intaktes, unberührtes Ökosystem<br />

dargestellt wird. Ein aus der Ferne romantisierter<br />

Sehnsuchtsort, dessen indigenen Bewohner ihre<br />

ganz eigene Weltsicht <strong>und</strong> so faszinierende<br />

Mythen haben. Dass er aber auch viele Produkte<br />

mit komplexer Geschichte, die meist bis zu den<br />

Anfängen der Kolonialzeit zurückreicht, aus dem<br />

Amazonas kommen, zeigt, wie verflochten,<br />

hochkomplex <strong>und</strong> globalisiert alles ist.<br />

Aber schauen wir zurück. Das heute fast<br />

ausgerottete Rotholz, das «Pau Brasil», zum<br />

Färben von Textilien begehrt, war nur der<br />

Anfang. Im Amazonas fanden die neuen Herren<br />

<strong>ein</strong>e schier unerschöpfliche Quelle an Hölzern,<br />

Früchten, Tieren, Pflanzen, die auszubeuten sich<br />

lohnte <strong>und</strong> noch heute lohnt. Wurde Brasilien<br />

nur entdeckt, weil die Portugiesen <strong>ein</strong>en neuen<br />

Weg zu den Indien suchten, um ihren Handel mit<br />

Gewürzen auszuweiten, fanden sie später im<br />

<strong>Amazonien</strong>, <strong>ein</strong> <strong>Foto</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lesebuch</strong> - <strong>Susanne</strong> <strong>Gerber</strong>-<strong>Barata</strong> 109

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