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Amazonien - ein Foto- und Lesebuch - Susanne Gerber-Barata

Foto- und Lesebuch über den brasilianischen Amazonas

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starke Nerven durch.<br />

Schon in der bis heute bew<strong>und</strong>erten „Flora<br />

brasiliensis“ vom deutschen Naturforscher,<br />

Botaniker <strong>und</strong> Ethnograf Carl Friedrich Philipp von<br />

Martius, erschienen in den Jahren 1840 bis 1906,<br />

findet sich <strong>ein</strong> Hinweis auf <strong>ein</strong>e Pflanze, die<br />

Schlangenbisse heile. Populär „Cayapiá“ genannt,<br />

ist sie als „Dorstena brasiliensis“ identifiziert. Von<br />

Martius beschreibt sie als Gegengift gegen alle<br />

Arten von Giften, am wirkungsvollsten gegen<br />

Schlangenbisse. Ethnobotanisches Wissen,<br />

Hochkomplex, schwer zu überprüfen.<br />

Chico ist nicht mehr jung, wenn auch vom<br />

sehnigen Stamm derer, die gut <strong>und</strong> gerne h<strong>und</strong>ert<br />

werden können. N<strong>ein</strong>, im Moment könne <strong>und</strong><br />

wolle s<strong>ein</strong>e Gabe, s<strong>ein</strong> Wissen nicht weitergeben.<br />

Gott habe ihm bis jetzt noch k<strong>ein</strong>en geschickt, der<br />

dazu bestimmt sei. Initiieren könne er nur<br />

jemanden, der <strong>ein</strong>en Ruf verspüre. Heiler s<strong>ein</strong><br />

wolle. Dem Schmerz direkt ins Auge sehen könne.<br />

Die Einzige, die k<strong>ein</strong>e Angst verspüre, sei s<strong>ein</strong>e<br />

Enkelin. Wir sitzen im Kreis auf Holzstühlen, <strong>ein</strong><br />

Nachbar schaut zu <strong>ein</strong>em Plausch her<strong>ein</strong>, am<br />

großen Mittagstisch verzehren sie gerade <strong>ein</strong><br />

zweites Frühstück, als sie sich in respektvollem<br />

Abstand dazu setzt. Ob es denn möglich sei, dass<br />

<strong>ein</strong>e Frau <strong>ein</strong>geführt werde? Die Antwort kommt<br />

ausweichend. Durch die Blume bejahend. Denn<br />

<strong>ein</strong>es ist klar - <strong>ein</strong>em jener Doktoren will er s<strong>ein</strong>e<br />

Geheimnisse dann doch nicht anvertrauen. Was er<br />

sucht, bleibt verschwommen. Anerkennung<br />

natürlich, aber welcher Art? Respekt, der sich<br />

vielleicht auch materiell ausdrückt?<br />

Die Initiationsriten seien drastisch. Nach der<br />

langen Lehrzeit nämlich, nachdem der Zögling<br />

alles, was er wissen muss, aufgenommen <strong>und</strong><br />

gelernt habe, komme der entscheidende Moment.<br />

Er wisse nun, wie man die Kräuter erkenne, wo<br />

man sie finde <strong>und</strong> welche anderen Zutaten, unter<br />

anderem Zucker, man dem Gebräu zusetze. Der<br />

bringe den Trank zum Fermentieren. Dann sei es<br />

an der Zeit, dass der Zögling s<strong>ein</strong>en ersten,<br />

geheimnisvollen Trank selber, für sich selber<br />

ansetze! Ein Trank, mit dem er sich selber heilen<br />

wird! Die brutale Logik dahinter ist schwer zu<br />

widerlegen: Nur wer den Schmerz kenne, die<br />

Qualen am eigenen Leib erfahren habe, könnte<br />

dieselben später bei anderen erfolgreich heilen.<br />

Sei der Eingeweihte dann soweit, lasse er sich<br />

beißen oder stechen. Von <strong>ein</strong>er Giftschlange,<br />

<strong>ein</strong>em Skorpion oder <strong>ein</strong>er der gefürchteten<br />

Spinnen. Bei Schlangenbissen tritt der Effekt<br />

sozusagen fast gleichzeitig mit dem Biss auf. Wie<br />

<strong>ein</strong> Blitz fahre der Schmerz <strong>ein</strong>. Die Stelle <strong>und</strong> das<br />

betroffene Glied beginnen anzuschwellen. Die<br />

Haut verfärbt sich bläulich, spannt, ist extrem<br />

schmerzanfällig. Wird nichts unternommen, treten<br />

schnell Nebenwirkungen auf. Der Betroffene fühlt<br />

sich elend <strong>und</strong> überaus schwach, ist aber zugleich<br />

hochgradig erregt. Er beginnt unter Todesängsten,<br />

Schwindel <strong>und</strong> unsäglichen Schmerzen zu leiden.<br />

R<strong>und</strong> um die W<strong>und</strong>e entstehen Blutgerinnsel, der<br />

ganze Körper ist extrem schmerzempfindlich <strong>und</strong><br />

an Schlaf ist nicht zu denken. Manche beginnen<br />

alles doppelt zu sehen. Das Zahnfleisch <strong>und</strong> andere<br />

Körperstellen beginnen zu bluten. Das Gift senkt<br />

den Blutdruck <strong>und</strong> <strong>ein</strong>e starke Blutgerinnung setzt<br />

<strong>ein</strong>. Weitere unangenehme Details kann man sich<br />

heutzutage problemlos im Internet zusammen<br />

recherchieren.<br />

In dieser Situation also soll Chicos Trank wahre<br />

W<strong>und</strong>er bewirken. Spinnenbisse sind noch<br />

heimtückischer. Entgegen der landläufigen<br />

M<strong>ein</strong>ung sind es nicht die riesigen, bepelzten<br />

Spinnen, die gefährlich sind. Die werfen höchstens<br />

<strong>ein</strong> paar Nesselhaare nach ihrem F<strong>ein</strong>d. Die tun<br />

zwar lokal verdammt weh, aber der Schmerz klingt<br />

nach <strong>ein</strong>er Weile von selbst ab. Die kl<strong>ein</strong>en,<br />

unsch<strong>ein</strong>bar brauen Spinnen sind gefährlicher.<br />

Zusammen mit dem oft unbemerkten Biss spritzen<br />

sie <strong>ein</strong> Betäubungsmittel <strong>ein</strong>. So entfaltet das Gift<br />

s<strong>ein</strong>e Wirkung erst nach <strong>und</strong> nach. Aber auch hier<br />

kommt Chicos Trank unfehlbar zum Zug. Gerne<br />

zeigt er uns s<strong>ein</strong> Lager in <strong>ein</strong>er großen<br />

Styroporkiste. Sorgfältig durch Zwischenwändchen<br />

getrennt stehen hier recycelte Cachaça- <strong>und</strong><br />

andere Glasflaschen in Reih <strong>und</strong> Glied. Alle sind sie<br />

sorgfältig verkorkt. Als er zwei herausnimmt <strong>und</strong><br />

<strong>Amazonien</strong>, <strong>ein</strong> <strong>Foto</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lesebuch</strong> - <strong>Susanne</strong> <strong>Gerber</strong>-<strong>Barata</strong> 807

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