Amazonien - ein Foto- und Lesebuch - Susanne Gerber-Barata

oder besser Indias, besonders da es an weißen
Frauen fehlte. Noch einer dieser typisch
brasilianischen Widersprüche.
Die Neuzeit, in der selbst der Ex-Präsident
Fernando Henrique Cardoso damit kokettierte,
einen Fuß in der Küche zu haben, einen Tropfen
Negerblut in seinen Adern, gilt ein Indio immer
noch als eine Art Außerirdischer, Außerzivilisierter.
Anders als die in der brasilianischen
Kultur überaus präsenten, verehrten, geehrten,
dokumentierten Schwarzen, als Beispiel nur der
bis heute heiß geliebte Pelé. Der Karneval wäre
undenkbar ohne die Mulattinnen und die
obligatorischerweise schwarzen „Puxadores do
Samba“. Jeden, der über Brasilien liest, oder gar
hierherkommt, faszinieren die synkretistisch
assimilierten afrikanischen Religionen, ist heute
der „Schwarze Teil“ Brasiliens Teil des nationalen
Selbstbewusstseins, was auf der anderen Seite
nicht ausschließt, den einzelnen Schwarzen zu
diskriminieren. Ob und wie sich der Indio in den
Nationalstolz einschließen lasse, wenn überhaupt,
ist eine Frage, auf die ich noch keine
zufriedenstellende Antwort gefunden habe.
Denn irgendwie existieren die Indigenen nicht,
bilden ein sozusagen negiertes Erbe, unterschlagen,
versteckt, inexistent, hervorgeholt
sozusagen nur am Alibitag, dem 19. April, der
offiziell ihnen gewidmet ist. Ansonsten lokalisiert
sie die Gesellschaft in einer Grauzone. Meine
Privattheorie beweist mir, dass viele
Gewohnheiten und Bräuche, ihre Mythen und ihr
Sein, die ganze Kulinaria, besonders hier im
Norden, genauso tiefe Spuren in der brasilianischen
Kultur hinterlassen haben, wie die der
Schwarzen.
Aber das Erbe der Indios ist weit davon entfernt
entdeckt, wertgeschätzt oder gar glamourisiert,
verehrt zu werden. Zwar lernen immer mehr
Indios neben ihrer eigenen Sprache und Kultur
auch Portugiesisch, lernen Schreiben, konstruieren
eine eigene Lobby, beginnen, sich offiziell und
politisch wirksam in Szene zu setzen, besuchen
Universitäten, aber noch beschränkt sich das, was
man von ihnen sieht und weitergibt, auf ein paar
wunderschöne Mythen aus dem gefürchtet
mystifizierten Regenwald oder werden zur
urbanen Legende oder Fabel wie dieser: Der
namenlose Indigene, von einer NGO nach Europa
mitgenommen, um da für seine Rechte zu
kämpfen, brachte das Erlebte so auf den Punkt: -
Nach seiner Europareise könne er nun wirklich
nicht mehr verstehen, warum ausgerechnet er
seinen Regenwald nicht abholzen dürfe. Sei ihm
hier im Dschungel doch immer gepredigt worden,
dass er und sein Stamm, wenn sie seinen Wald
abholzten, Hunger leiden würden und alles andere
aus dem Gleichgewicht gerate. Aber da in Europa,
wo der ganze Wald schon so lange weggeholzt
worden sei, habe er nur Leute gesehen, die gut
lebten, genug zu Essen hätten, viele hätten gar ein
schönes, komfortables Haus.... .
Wie auch immer - Brasilien ist Weltmeister im
„Vergessen“: Kaum einer keiner kennt die
Herkunft seine Vorfahren, geschweige dann deren
Hautfarbe, welche praktischerweise, wie von
Zauberhand über die Generationen immer weißer
wurde. Verständlich, denn wer will schon von den
Verlierern der Geschichte abstammen?
Auf der anderen Seite, echte Brasilianer, lernen
die Indios sehr schnell. Holen auf, sorgen gar an
der Seite von Popstar Sting für kontroverse
Schlagzeilen. Anders ausgedrückt: Sie sind unter
uns, immerzu, menschlich, gut oder schlecht,
geschäftstüchtig oder Banditen, bis sie allerdings
selbstverständlicher Teil des Nationalstolzes sein
werden, dieser Platz an der Sonne, der liegt noch
ein schönes, hochkomplexes Stück Weg vor ihnen.
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